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Kulturerbe: Blick zurück nach vorn

Wie die Beschäftigung mit der Vergangenheit Identität im Land stiften kann

26.05.22
Kulturerbe: Blick zurück nach vorn

1981 wurde der Speyerer Dom als erster Kandidat aus Rheinland-Pfalz in der Liste des Unesco-Welterbes verzeichnet. Foto: Nailia Schwarz

75 Jahre sind, das erleben wir in diesen Tagen, eine beachtliche Strecke. Andererseits weiß ein Lied von Udo Jürgens: Tausend Jahre sind ein Tag. So lautet der Refrain des Titelsongs einer ganz besonderen Zeichentrickserie, die 1978 erstmals ausgestrahlt wurde. „Es war einmal ... der Mensch“, so der Titel der im Original französischsprachigen Serie, erzählte kindgerecht eine Chronologie der Menschheitsgeschichte, brachte große Bögen auf einen kleinen Nenner - und weckte in großen Teilen des längst nicht nur jungen TV-Publikums Interesse an der Vergangenheit. Ob es wohl Zufall ist, dass im selben Jahr erstmals Kulturdenkmäler in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen wurden?

Im Zentrum des 1972 in Paris verabschiedeten Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt stand der Gedanke des Schutzes ebendieses Erbes - noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges waren mit der Haager Konvention Leitlinien zur Erhaltung des Kulturerbes gesetzt worden.

1981 wurde erstmals ein Gebäude aus Rheinland-Pfalz auf diese Welterbeliste gesetzt: der Speyerer Dom. Vermutlich ab 1025 als Grablege für die salischen Könige und Kaiser erbaut, ist er heute die größte romanische Kirche der Welt.

Sein Rang ist unbestritten - wie auch der des Ensembles aus römischen und mittelalterlichen Baudenkmälern in Trier, das 1986 in die Welterbeliste eingetragen wurde. Das Römische Reich, besser gesagt seine Grenze, sollte Rheinland-Pfalz noch zweimal zu Welterbe führen, einmal durch den hier verlaufenden Teil des Obergermanisch-Rätischen Limes, ein zweites Mal durch den südlichsten Teil des Niedergermanischen Limes.

Das Obere Mittelrheintal, die Kurstadt Bad Ems als Teil der „Bedeutenden Kurstädte Europas“ und schließlich das „Erbe der SchUM-Städte“, also der jüdischen mittelalterlichen Gemeinden von Speyer, Mainz und Worms runden das rheinland-pfälzische Portfolio in Sachen Welterbe ab.

Lokal in Zusammenhängen denken

Und so hat seit 1981 das Unesco-Welterbe ganz entscheidend daran mitgewirkt, das Gebilde Rheinland-Pfalz ganz unauffällig und unaufdringlich, dafür aber nachhaltig zu vereinen: Das Bewusstmachen von gemeinsamer Geschichte ist der wohl beste Weg, eine gemeinsame Identität zu stiften. Natürlich nicht, weil auch nur irgendeines der unter Welterbeschutzstatus gestellten Stätten in einem Land namens Rheinland-Pfalz gegründet worden wäre: Aber hier gilt eben „Tausend Jahre sind ein Tag“ - und das Bundesland Rheinland-Pfalz mag im Vergleich dann immer noch ganz frisch sein. Aber es kann sich stolz das Verdienst zuschreiben, von der Bestandsaufnahme von Schützenswertem über die Antragsstellung bis zur Pflege der schließlich anerkannten Welterbestätten ein großes Maß an Bewusstsein für das gemeinsame kulturelle Erbe befördert oder überhaupt erst geweckt zu haben.

Die deutsche Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts hat, wenn man sie auch sonst oft mit negativem Unterton anführt, besonders im Bereich der Kultur segensreiche Dinge hinterlassen: Ohne sie wären wir um zahllose Residenzstädte samt ihrer bis heute nachwirkenden kulturellen Infrastruktur bis hin zu traditionsreichen Museen, Theatern, Universitäten und Orchestern ärmer.

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Seit 2021 rheinland-pfälzisches Welterbe: das Erbe der SchUM-Städte, der drei rheinischen jüdischen Zentren Speyer, Worms und Mainz (Foto: Neue Mainzer Synagoge) Foto: dpa
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Zum immateriellen Kulturerbe zählt unter anderem auch der Weinbau. Foto: magicbeam

Aber auch eine weniger schöne Hinterlassenschaft föderaler Kleinstrukturen, das Kirchturmdenken, hat sich lange erhalten: Gemeinschaftsprojekte wie die Unesco-Kulturerbestätten sind wie kaum andere Unternehmungen geeignet, solche lokalen Kurzsichtigkeiten zu überwinden.

Auf Effekte setzen

Dabei werden bei der öffentlichen Diskussion über Welterbe meist noch ganz andere Punkte angeführt: Zum einen ist der Tourismus ein gern genannter Grund für die Nützlichkeit des Welterbesiegels. Das ist sicherlich richtig, muss aber bei jedem einzelnen Listenpunkt spezifisch betrachtet werden.

Ein „Übertourismus“, wie ihn etwa Venedig erlebt, ist an den Stätten des römischen Grenzwalles Limes sicher nicht zu befürchten. Ein länderübergreifendes Konzept bietet aber zweifelsfrei das Potenzial, internationale Aufmerksamkeit eines speziellen Publikums zu nutzen.

Solche Effekte dürfte auf jeden Fall auch das Obere Mittelrheintal setzen, das sich seit der Aufnahme auf die Welterbeliste mehr und mehr als gemeinsamer Raum und als gemeinschaftliche Marke sieht und zunehmende auch inszeniert. Der Boom des Wandertourismus könnte sich auch aus dieser Quelle speisen.

Beschleuniger Bundesgartenschau

2029 wird die Bundesgartenschau im Oberen Mittelrheintal zeigen, wie gut es binnen eines guten Vierteljahrhunderts seit Aufnahme auf die Welterbeliste gelungen sein wird, verschiedenste Akteure über Verwaltungsgrenzen hinweg zu einen.

Genau hier lässt sich aber auch festmachen, welche politischen und gesellschaftlichen Prozesse mit dem Welterbetitel angestoßen werden können: Denn dieser ist eben nicht nur ein Orden, den man sich stolz auf die Brust heften kann, sondern verpflichtet auch zum Schutz der besonderen Eigenschaften. Mehr denn zuvor wird im Angesicht des Welterbestatus öffentlich über neue Bauprojekte diskutiert - dabei wird das Welterbe allerdings allzu oft fälschlich mit einer musealen Käseglocke gleichgesetzt, manche fürchten etwa städtebaulichen Stillstand in Welterbegebieten. Dass dies nicht der Fall sein muss und zu erarbeiten, wie man auch und gerade in diesen Zonen weiter entwickeln und bauen kann, ist eine lohnende Aufgabenstellung.

Gemeinsam mit dem immateriellen Kulturerbe, das auf bundesdeutscher Ebene kulturelle Ausdrucksformen auszeichnet, eint das Unesco-Welterbe im Blick in die Vergangenheit nach vorn Regionen und die Menschen, die in ihnen leben. Dass sich Rheinland-Pfalz dabei als Ort profiliert, in dem seit jeher verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, immer wieder Neues entsteht, kann nur von Vorteil sein in einem Bundesland, in dem fast ein Drittel der Bevölkerung selbst oder mit mindestens einem Elternteil ausländische Wurzeln hat. Claus Ambrosius

Kulturelles Wissen weitergeben und am Leben halten: Immaterielles Kulturerbe

Im bundesweiten Verzeichnis ist Rheinland-Pfalz mit sieben Kulturformen vertreten, hier verzeichnet mit ihrem Aufnahmejahr:

2014 Morsetelegrafie
2016 Forster Hanselfingerhut-Spiel
2016 Töpfertradition Westerwälder Steinzeug in und um Höhr-Grenzhausen, Kannenbäcker land sowie Breitscheid
2018 Die Wiesenbewässerung in den Queichwiesen zwischen Landau und Germersheim
2018 Das Welttanzprogramm (WTP) für den Paartanz im Register guter Praxisbeispiele
2021 Weinkultur in Deutschland
2021 Hüttenkultur im Pfälzerwald

Als Kandidaten für die Liste sind jüngst der an Mosel und Saar verbreitete Apfelwein Viez, die Schuhindustrie in der Pfalz und die Edelsteinverarbeitung an der oberen Nahe benannt worden.

Unesco-Welterbe in Rheinland-Pfalz

Die 1945 gegründete Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation Unesco hat auf ihre derzeit 1154 Stätten in 167 Ländern umfassende Liste des Welterbes bislang 51 Stätten beziehungsweise Ensembles aus Deutschland aufgenommen. Davon finden sich sieben in Rheinland-Pfalz, hier verzeichnet mit Zeitpunkt ihrer Aufnahme:

1981 Der Speyerer Dom
1986 Die römischen Baudenkmäler sowie der Dom und die Liebfrauenkirche in Trier
2002 Die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal zwischen Bingen und Koblenz
2005 Der 550 Kilometer lange Obergermanisch-Rätische Limes zwischen Rheinbrohl und Eining (länderübergreifender Antrag)
2021 Die Kurstadt Bad Ems als Teil des länderübergreifenden Welterbes Bedeutende Kurstädte Europas
2021 Das Erbe der SchUM-Städte, der drei rheinischen jüdischen Zentren Schpira (Speyer), Warmaisa (Worms) und Magenza (Mainz)
2021 Der südlichste Abschnitt des Niedergermanischen Limes von Remagen bis zur Landesgrenze mit Nordrhein-Westfalen (länderübergreifender Antrag)