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Das Land der Reben und der Biotechnologie

Rheinland-Pfalz hat alte Klischees in 75 Jahren überwunden – Wahrnehmung von außen muss aber weiter geschärft werden

23.05.22
Das Land der Reben und der Biotechnologie

Die BASF (links, Blick aufs Werksgelände in Ludwigshafen) ist traditionell wichtig für die rheinland-pfälzische Wirtschaft. Biontech (rechts, Labor in Mainz) ist als weiterer großer Steuerzahler hinzugekommen. Fotos: dpa

Das Land der Reben und Rüben: So wurde Rheinland-Pfalz lange Zeit von außen betrachtet, eine wenig schmeichelhafte Einordnung. Heute aber reden wir über ein Biotech-Valley, das sich von Mainz bis Birkenfeld ziehen könnte – das klingt doch schon deutlich anders.

Auslöser ist natürlich der Erfolg von Biontech: Ein Mainzer Unternehmen trägt kräftig dazu bei, dass wir allmählich den Weg aus der Corona-Pandemie finden – da leuchtet ein neuer Stern am Himmel der rheinland-pfälzischen Wirtschaft. Und er strahlt so hell, dass er das ganze Bundesland in ein helleres Licht taucht. Die Reduktion auf Reben und Rüben war allerdings nie wirklich zutreffend. Bereits 1865 entstand die Badische Anilin- und Sodafabrik, nur eine Woche nach der Gründung zog sie von Mannheim nach Ludwigshafen. Und bis heute ist die BASF – seit 1973 firmiert sie nur noch unter dem Kürzel, das ohnehin längst gebräuchlich war – ein industrieller Kern des Landes.

Wenn die BASF niest, hat ganz Rheinland-Pfalz einen Schnupfen: Der Spruch trifft nach wie vor zu, auch wenn mit Biontech ein weiterer gewichtiger Steuerzahler neu hinzugekommen ist. Und wenn BASF-Finanzchef Hans-Ulrich Engel sagt: „Wir sind sehr gut ins neue Jahr gestartet“, ist das schon mal eine beruhigende Nachricht für 2022 – für das ganze Land. Oder nehmen wir Boehringer in Ingelheim: Auch dieses Unternehmen gab es schon im 19. Jahrhundert, 1885 ging es an den Start – als das Land Rheinland-Pfalz gegründet wurde, hatte dieser gewichtige Spieler der Wirtschaft im Land ebenfalls schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel.

Und er ist immer noch vorn dabei. In seine Überlegungen zum Biotech-Valley bezieht Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Koblenz, den Pharmakonzern ausdrücklich mit ein. Er soll Teil der „kleinen Perlenkette“ an Rhein und Nahe werden. Dass Biontech bereits einen Standort in Idar Oberstein hat, passt.

Insgesamt hat die Industrie einen Anteil von knapp einem Drittel an der Bruttowertschöpfung im Land, Rheinland-Pfalz bewegt sich damit auf dem Niveau von Bayern – nur der Spitzenreiter Baden-Württemberg liegt mit 38 Prozent noch deutlich weiter vorn.

Ebenfalls sehr auffällig: Bei der Exportquote kam Rheinland-Pfalz 2020 laut Statistischem Bundesamt auf 55,6 Prozent, nur geringfügig weniger als in Baden-Württemberg. Und auch das liegt nicht vorrangig an Reben und Rüben, obwohl natürlich Wein exportiert wird.

Abgesehen von den strahlkräftigen Sternen am Himmel ist die rheinland-pfälzische Wirtschaft extrem mittelständisch geprägt. Selbst in der Liste der 100 größten rheinland-pfälzischen Unternehmen geht es schon ab etwa Position 60 unter die 1000-Mitarbeiter-Marke. Und gerade im Handwerk sind Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern keine Seltenheit. In der Summe aber sprechen wir dort von rund 260 000 Beschäftigten in gut 50 000 Betrieben – das Handwerk hat Gewichtin-Rheinland-Pfalz.

Wer genau hinschaut, entdeckt in den Reihen der Mittelständler zahlreiche heimliche Weltmarktführer (Hidden Champions), vom Pumpenbauer bis zum Hersteller von Spezialschrauben.

Sie haben sich in ihren Nischenmärkten hervorragend aufgestellt – auch das sind Sterne am Himmel der rheinland-pfälzischen Wirtschaft. Jeder für sich genommen hat allerdings nicht die Strahlkraft wie Mercedes-Benz in Stuttgart oder BMW in München, die Firmennamen sind oft nur Branchenkennern ein Begriff. Zum Problem kann das etwa bei der Suche nach Fachkräften werden, die ihren Blick erst mal eher nicht in Richtung Westerwald oder Hunsrück richten. Und so muss Rheinland-Pfalz mit seinen ohnehin höchst unterschiedlichen Teilregionen stetig an seiner Identität und Außenwirkung arbeiten.

Auch wenn das Klischee von den Reben und Rüben überwunden sein mag, stellt sich doch immer die Frage: Was lockt Menschen zu uns? Mehrere Netzwerke entwickeln Antworten darauf, im nördlichen Rheinland-Pfalz beispielsweise R56+ und die Initiative Region Koblenz-Mittelrhein. Erst vor Kurzem gab es Zuwachs bei R56+: Gleich vier Unternehmen haben sich der Initiative neu angeschlossen. Gemeinsam für einen guten Auftritt: Das trägt allmählich Früchte.

Und was ist nun aus den Reben und Rüben geworden? Die Landwirtschaft hat sich deutlich verändert, wie ein Aufsatz von Ute Engelen auf Wirtschaftsgeschichte-rlp.de klarmacht. 1949 bestanden in Rheinland-Pfalz 211 017 landwirtschaftliche Betriebe. Von diesen verfügten 72,3 Prozent über weniger als fünf Hektar Nutzfläche. Im Lauf der folgenden Jahrzehnte gab es eine immer stärkere Konzentration – bis 2010 schrumpfte die Zahl der ländlichen Betriebe auf nur noch rund ein Zehntel des ursprünglichen Werts.

Natürlich sind diese Betriebe erheblich größer: Nur rund ein Viertel hatte zu dem Zeitpunkt noch eine Nutzfläche, die kleiner als fünf Hektar war. Auch interessant: Im Jahr 1950 arbeitete ein Drittel der knapp 1,5 Millionen Erwerbstätigen in Rheinland-Pfalz in der Land- und Forstwirtschaft. Schon 15 Jahre später machte dieser Bereich aber nicht einmal mehr ein Fünftel der Erwerbstätigkeit aus, so Engelen. Bis 2010 verringerte sich der Anteil auf 2 Prozent.

Der starke Rückgang der Betriebs- und Beschäftigtenzahl wurde allerdings durch wachsende Erträge weitgehend kompensiert. So nahmen die Bestände an Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen in deutlich geringerem Maße ab, während sich die gesamte Schlachtmenge bis 2010 sogar um rund 35 Prozent erhöhte. Auch die Milchproduktion stieg an.

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Der Weinbau prägt die Landschaften in den Flusstälern und kann seinen Teil zu einem positiven Bild von Rheinland-Pfalz in der Außensicht beitragen - natürlich auch dank charmanter Weinköniginnen. Foto: Jens Weber

Gleichzeitig verschob sich das Verhältnis, in dem die verschiedenen Feldfrüchte angebaut wurden. So ging die Kartoffelernte in Rheinland-Pfalz von 1950 bis 2010 auf einen Anteil von rund 13,6 Prozent an den Erzeugnissen zurück, doch die Getreidemenge nahm um mehr als 60 Prozent zu. Bei der Zuckerrübe gab es sogar einen Zuwachs von 162 Prozent.

Besonders bekannt ist und bleibt das Bundesland aber für seinen Weinanbau: Mit den Weingebieten Ahr, Mittelrhein, Mosel, Nahe, Rheinhessen und Pfalz liegen hier zwei Drittel der deutschen Rebfläche. Und zumindest die Reben könnten im Übrigen auch ihren identitätsstiftenden Teil für Rheinland-Pfalz beitragen. Die Winzer wirtschaften ja nicht nur, es geht um eine Genusskultur, die hier ihre Heimat hat. Und der Weinbau prägt zudem die schönen Landschaften an Mittelrhein und Nahe, an der Mosel und im schwer gebeutelten Ahrtal. Es nur als Industrieland zu sehen – auch das würde Rheinland-Pfalz bestimmt nicht gerecht. Jörg Hilpert

Wachstum wie selten zuvor in der 75-jährigen Geschichte

2021 verbuchte die rheinland-pfälzische Wirtschaft eine starke Erholung – das geht aus dem Jahreswirtschaftsbericht des Statistischen Landesamtes hervor. Das Bruttoinlandsprodukt, also der Wert aller in Rheinland-Pfalz produzierten Waren und Dienstleistungen abzüglich der bei der Produktion verbrauchten Vorleistungsgüter, „erhöhte sich in einem Ausmaß wie selten zuvor in der 75-jährigen Geschichte des Landes“, berichtet der Präsident des Landesamtes, Marcel Hürter. In jeweiligen Preisen stieg das Inlandsprodukt um knapp 19 Milliarden Euro (plus 13 Prozent); preisbereinigt belief sich der Zuwachs auf 9,6 Prozent. „Wenn man so will, ist dieses außerordentliche Ergebnis – wie der kräftige Einbruch 2020 – Coronabedingt“, erklärt Hürter. Der starke Wertschöpfungszuwachs ist nämlich eben zu einem beträchtlichen Teil auf die Entwicklung und Produktion des Biontech-Impfstoffes gegen Corona zurückzuführen. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt stieg 2021 um 2,9 Prozent, die Wertschöpfung in Westdeutschland ohne Berlin legte um 3 Prozent zu.

Mit der kräftigen Erholung verbesserte sich auch die Lage am Arbeitsmarkt. Die registrierte Arbeitslosigkeit sank. Die Arbeitslosenquote verringerte sich um 0,2 Prozentpunkte auf 5 Prozent. Die Erwerbstätigkeit blieb 2021 nahezu unverändert. Der pandemiebedingte Rückgang zu Beginn des Jahres wurde in den folgenden Quartalen wieder aufgeholt. Weniger erfreulich ist die Rückkehr der Inflation – ab der zweiten Jahreshälfte zogen die Preise kräftig an.