Anzeige

Harald Kron – ein typischer rheinland-pfälzischer Überflieger

27.05.22
Harald Kron – ein typischer rheinland-pfälzischer Überflieger

Feiert am 17. Mai seinen 75. Geburtstag und im Oktober mit seiner Frau Rosemarie Goldene Hochzeit: Der Rhenser Harald Kron vereint vieles, das typisch für Rheinland-Pfalz ist. Er ist begeisterter Sportler und Ehrenämtler. Foto: Jens Weber

Als Harald Kron sieben Jahre alt ist, läuft er an einem späten Sonntagnachmittag auf den Rhenser Marktplatz. Dort ist ein Elektrogeschäft, in dessen Schaufenster Fernseher stehen. An diesem 4. Juli 1954 erlebt er dort das Wunder von Bern. „Vor dem Schaufenster standen ganz viele Leute. Als Kind bin ich durch deren Beine gekrabbelt und stand dann direkt vor dem Schaufenster.“ Harald Kron kann sich nicht mehr daran erinnern, wie Helmut Rahn, „der Boss“, im Berner Wankdorfstadion vor 60 000 Zuschauern das 3:2 schießt und Deutschland neun Jahre nach dem verlorenen Krieg wieder ein bisschen Stolz schenkt. „Das konnte ich doch damals noch gar nicht begreifen. Wenn wir auf den Straßen gespielt haben, dann riefen wir: ,Ich bin der Eckel, ich bin der Hidegkuti.' Die hatten Strahlkraft. Und der Fritz Walter? Da konnten selbst die armen Teufel hochgucken. Der war Vorbild.“

Fünf Spieler aus der Weltmeistermannschaft spielen beim 1. FC Kaiserslautern. Rheinland-Pfälzer wie Harald Kron. Typische Rheinland-Pfälzer? „Ich konnte mit Rheinland-Pfalz nie viel anfangen. Das war ein fiktiver Begriff. Das hat mich gar nicht bewegt. Ich bin Rhenser, lebe in der Nähe von Koblenz, und das ist halt in Rheinland-Pfalz.“ Die Helden von Bern – sie sind für ihn von einem anderen Stern. Auf dem Sportplatz in Rhens, wo er am Sonntag als Kind Fußball schaut, spielen „die armen Leute, die den Krieg überstanden haben“. Walter, Eckel, Rahn – das waren im Vergleich dazu Überflieger, auferstanden aus Kriegsruinen, hochgeflogen in den Fußballolymp.

Harald Kron hat schon als Kind vom Fliegen geträumt. Warum? Der 75-Jährige macht eine Pause, atmet tief durch. „Ich habe einmal gesehen, wie Flugzeuge der Alliierten nach dem Krieg über Rhens geflogen sind. Ein Riesenschwarm. Fliegen war für mich das Leben überhaupt.“ 1958, da ist der Rhenser elf, bekommt er zu Weihnachten ein Flugzeugmodell geschenkt. Eine Messerschmitt ME 262. An das erste in Serie gebaute Strahlflugzeug erinnert sich der Rhenser heute noch genau. Harald Kronwill hoch hinaus.

Sein Elternhaus am Rhein ist ein Trümmerhaufen, nachdem kurz vor Kriegsende eine Bombe eingeschlagen ist. „Als Kindlein habe ich im Keller gewohnt und in dem, was vom Haus übrig war.“ Die Mutter hat Hutmacherin noch bei den Juden gelernt, denen der Laden vor dem Krieg gehört hatte, bevor die Nazis ihn stahlen. Der Vater ist Polier, angestellt beim großen Duisburger Bauunternehmen Heilingbrunner. Unter der Woche baut er Deutschland wieder auf, am Wochenende das eigene Häuschen. „Mein Vater kam Freitagnacht und ist oft am Sonntagabend schon wieder gefahren. Wir hatten zu Hause eine ewige Baustelle. Als ich elf war, hat er mir eine Form gebaut, 28 Zentimeter hoch und breit, 50 Zentimeter lang. Damit habe ich Steine aus Beton gemacht. Ich war zu Hause wie ein Hilfsarbeiter.“ Den Vater nennen sie auf der Baustelle ehrfürchtig „den Boss“ – wie Helmut Rahn. 1959, erzählt Kron, baut sein Vater das C&A-Gebäude in Koblenz, ein Terminbau, der sechs Tage früher als geplant fertig wird. Es gibt eine Prämie. „Der Boss“ wird zum gefragten Polier. „Kron muss bauen, sonst gibt es den Auftrag nicht“, bekommt sein Arbeitgeber jetzt häufiger zu hören.

Harald Kron will auch über sich selbst hinauswachsen, ein Überflieger werden. „Das war so: Ich wollte immer ein bisschen mehr.“ Im Leben. Im Beruf. Weil die Eltern beide arbeiten, muss er früh erwachsen werden. Anfangs kocht die Oma mittags noch für ihn. Als er elf ist, geht er lieber in die Küche der Metzgerei Goldener Stern. Mit 13 ist Schluss mit Schule, nach acht Schuljahren. Harald Kron hat eine zwölf Jahre ältere Schwester, die einen Schriftsetzer heiratet. Der schenkt dem kleinen Schwager einen Druckerkasten mit kleinen Gummibuchstaben. „Danach wollte auch ich Schriftsetzer werden.“ Im Frühjahr wird er Lehrling in der Druckerei Scheid in der Koblenzer Casinostraße. Er lernt viel, nicht nur als Schriftsetzer, vor allem als Mensch. Wie man sich gut verkauft, die anspruchsvollen Kunden zufriedenstellt.

Und er lernt, sich zu wehren. Gegen die, die ihn wegen seines Geburtstags aufziehen. „Der 17. Mai war der schlimmste Geburtstag, den man sich vorstellen konnte. Einschulung war am 1. April. Meine Mutter hat das durchgesetzt. Ich war ja auch nicht auf den Kopf gefallen. Aber ich war immer überall der Jüngste. Das hat mich mein ganzes Leben verfolgt.“ Doch da war noch was: „175, das war der Schwulenparagraf. Wenn ich gesagt habe, wann mein Geburtstag ist, haben alle gelacht. Mit 16 hatte ich die Nase voll und bin zum Boxklub Rot-Weiß gegangen. Wenig später hat keiner mehr gelacht.“ Paragraf 175 des Strafgesetzbuches stellte noch bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe.

Nach der Lehre will Harald Kron endlich fliegen lernen. Er verpflichtet sich bei der Bundeswehr. „Ich wollte zu den Fallschirmjägern oder Heeresfliegern. Ich wollte immer Pilot werden.“ Er landet bei der Flak-Ausbildungskompanie im baden-württembergischen Sigmaringen. „Lernen Sie, ein Flugzeug abzuschießen, dann können Sie später auch lernen, es zu fliegen“, sagen sie ihm. Er lässt sich nicht beirren, macht seine Grundausbildung bei der Heeresunteroffiziersschule I im bayerischen Sonthofen. Die Zeit hat Spuren hinterlassen. Wenn man Harald Kron danach fragt, steht er auf, greift in seine Hosentaschen und legt seine Geldbörse und zwei Taschentücher auf den Tisch. „Am Kasernenausgang wurden wir kontrolliert. Wir mussten 5 Mark dabei haben und zwei Stofftaschentücher, ein sauberes, ein gebrauchtes. Wir sollten versorgt sein. 50 Jahre später mache ich das immer noch so.“

Harald Kron – ein typischer rheinland-pfälzischer Überflieger-2
Für seine siebenjährige Enkelin schreibt und malt Harald Kron, der zwei Töchter hat, diese Hasengeschichten. Darin erzählt er auch von seiner eigenen Kindheit. Foto: Jens Weber

Die Ausbildung ist eine Qual. 300 Höhenmeter geht es hoch und runter, mit voller Ausrüstung. „Das war hart. Aber ich war Boxer, Fußballer. Ich hatte immer eine gute Kondition. Ich war ne wilde Wutz.“ Und Harald Kron ist ein guter Schütze und Boxer. Die Vorgesetzten mögen das. Dann wird er tatsächlich zu den Heeresfliegern versetzt. Doch sein Körper spielt nicht mit. Der Fußballer bekommt einen Ermüdungsbruch im linken Fuß, fällt drei Monate aus. Wenig später folgt ein Leistenbruch. Und doch kommt er auf einige Flugstunden. Er sitzt in einem Piaggio-Flächenflieger. Harald Kron hat die wenigen Flugstunden nie vergessen: „Sie können bis zu einer bestimmten Höhe die Spuren von jemandem sehen, der durch eine Wiese gegangen ist. Oder man sieht am Schornsteinschlot, woher der Wind kommt. Puh. Das ist faszinierend.“

Nach vier Jahren kehrt er ins zivile Leben zurück – als Schriftsetzer erst bei der Druckerei Scheid, dann als Sachbearbeiter und Kalkulator bei der Rhenania-Druckerei am Koblenzer Görresplatz. 1971 wechselt er zum Mittelrhein-Verlag. Am schwarzen Brett sieht er die Ausschreibung für eine Stelle als Werbeassistent. Harald Kron erfährt, dass man in dem Job Veranstaltungen wie Wandertage organisieren soll. „Ich war Mitglied im Gemeinderat und Vorsitzender der Jungen Union in Rhens. Veranstaltungen konnte ich organisieren.“ Der Werbeleiter erzählt ihm, dass es „morgen Abend ein Gespräch in Bad Kreuznach gibt, um eine Veranstaltung vorzubereiten“. Der Rhenser schreibt einen Organisationsplan. „Da hatte ich den Job.“ Er steigt zum stellvertretenden Werbeleiter auf, ohne den Titel je zu tragen. Parallel macht er ein Studium zum praktischen Betriebswirt, später eine Ausbildung zum Werbeleiter. Immer ein bisschen mehr. Von 1975 bis 1985 organisiert er mehr als 500 Veranstaltungen, stemmt mit Landräten und Bürgermeistern viele Projekte, eines der bekanntesten ist das Limes-Buch von Klaus Deinaß. „Ich habe mitgearbeitet, dass der Limes unter Denkmalschutz gestellt wurde.“

„Ich konnte mit Rheinland-Pfalz nie viel anfangen. Das war ein fiktiver Begriff. Das hat mich gar nicht bewegt. Ich bin Rhenser, lebe in der Nähe von Koblenz, und das ist halt in Rheinland-Pfalz.“

Harald Kron

1985 hat er genug. Er erfährt, dass der Sportbund Rheinland einen Geschäftsführer sucht. Harald Kron, der Überflieger aus Rhens, bekommt den Job. 1988, im Jahr der Senioren, entwickelt er mit anderen die Idee, Seniorenberater für die damals 3200 Vereine mit 600 000 Mitgliedern im Sportbund auszubilden. Sie sollen sich um die vielen inaktiven, älteren Mitglieder kümmern, die bis dahin oft nur Beiträge bezahlen, damit die Kinder Sport treiben können. Heute sind laut Landessportbund von fast 4,1 Millionen Rheinland-Pfälzern 1,3 Millionen Mitglieder in Sportvereinen, in rund 5900 Vereinen engagieren sich 400 000 ehrenamtlich. Wenn etwas typisch Rheinland-Pfalz ist, dann wohl das: der Sportverein, das Ehrenamt. Typisch für Harald Kron: „Sport ist für die Gesundheit wichtig und für das Lebensgefühl. Als ich das erste Mal einen Marathon gegangen bin, 42 Kilometer in achteinhalb Stunden, da war ich Strahlemann.“

Doch sein Körper bremst ihn wieder aus. 2012, gerade mal 65, erleidet er einen Herzinfarkt. Kurz vor seinem 75. Geburtstag im Mai wurde er wieder am Herzen operiert. Harald Kron erzählt gern Geschichten davon, wie er Menschen das Leben gerettet hat – den geistig Behinderten in seiner Jugend aus einem Waschbottich in der Konservenfabrik, später ein Kind vor dem Ertrinken im Rhein. Fast scheint es, als wolle er den lieben Gott um Gnade bitten.

Und das Fliegen? „Ich träume nicht mehr davon.“ Doch Harald Kron ist kein Mensch, der resigniert. „Wir haben ein Enkelchen.“ Für sie schreibt und malt der Opa Hasengeschichten. „Wir erzählen ihr darin von unserer Kindheit. Wie es früher war.“ Seine Enkelin ist sieben Jahre alt – so alt wie Harald Kron, als er durch die Beine der Erwachsenen am Marktplatz von Rhens krabbelte, um zu sehen, wie aus armen Teufeln Helden wurden. Christian Kunst

Der typische Rheinland-Pfälzer

Der durchschnittliche Rheinland-Pfälzer ist laut Statistischem Landesamt 45 Jahre alt, die Männer im Schnitt 44, die Frauen 46. Der Otto-Normal-Rheinland- Pfälzer wiegt demnach 78 Kilo, die Männer im Schnitt 87 Kilo, die Frauen 69 Kilo; 1,72 Meter im Schnitt, die Männer 1,79, die Frauen 1,66 Meter. Lediglich jeder vierte Rheinland-Pfälzer lebt im Flächenland in einer Stadt mit mehr als 50 000 Einwohnern, 16 Prozent hingegen in Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern. Das verfügbare Einkommen lag Stand 2019 bei 23 468 Euro je Einwohner. 55 Prozent aller Haushalte befinden sich im Eigentum der Bürger.