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Die Herzkammer der Demokratie in Rheinland-Pfalz

Der Sitz des Landtags, das Deutschhaus, hat eine bewegte Geschichte hinter sich

27.05.22
Die Herzkammer der Demokratie in Rheinland-Pfalz

Der Plenarsaal des rheinland-pfälzischen Landtags: Für 73 Millionen Euro wurde er grundsaniert und im September 2021 wieder bezogen. Foto: dpa

Am 18. Mai 1951 tagte zum ersten Mal das Parlament an seinem neuen Sitz in der Landeshauptstadt Mainz. In der Zeit zuvor kamen 1946 zunächst die Beratende Landesversammlung, ab 1947 dann das Parlament und die Regierung des neu gegründeten Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz zusammen. Dort wurden - anders als in Mainz - die Gebäude mit großen Sälen durch die Luftangriffe der Alliierten nicht zerstört: das Stadttheater, das Koblenzer Rathaus und das Görreshaus. Der Landtag beschloss schließlich in einer Abstimmung am 28. Mai 1950, wenn auch knapp, nach Mainz umzuziehen. Das Deutschhaus wurde zum Sitz des rheinland-pfälzischen Parlaments. Das barocke Palais hat eine bewegte Geschichte hinter sich.

Vom Deutschordenshaus zum Sitz des Landtags

Heute ist das Deutschhaus der Mittelpunkt der Demokratie des Bundeslandes. Dabei schwebte dem ersten Bauherrn des barocken Baus zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunächst etwas ganz anderes vor: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, Kurfürst und Erzbischof von Mainz und Hochmeister des Deutschen Ordens, wünschte sich einen repräsentativen Herrschaftssitz. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 1729 des Regierungsantritts von Franz Ludwig. Bauinspekteur war Johann Valentin Thomann, der spätere Architekt des Osteiner Hofes in Mainz. 1732 feierte man Richtfest, 1740 wurde der Hauptbau vollendet. Das Deutschhaus erfüllte als prachtvolles Palais - direkt am Rhein gelegen - die Funktion eines repräsentativen Herrschaftssitzes.

Das Ende des 18. Jahrhunderts war in Europa vom Umbruch geprägt. Immer mehr Menschen verlangten gesellschaftliche und politische Teilhabe sowie ein freies und selbstbestimmtes Leben. Sie wollten eine Gesellschaft, in der nicht Fürsten, Könige und Kaiser über das Leben des Volks bestimmten. 1792 besetzten französische Revolutionstruppen die Pfalz und Rheinhessen. Die Verwaltung der Gebiete, die „Allgemeine Administration“, die sich auch als Motor der Revolution verstand, zog ins Deutschhaus. 1793 gelang es den Mainzer Bürgern für kurze Zeit, die Ideale von Freiheit und Gleichheit zu verwirklichen. Sie wählten zum ersten Mal in Deutschland nach allgemeinem Wahlrecht ein Parlament. Und riefen vom Balkon des Deutschhauses die Mainzer Republik aus. Der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent kam bis zur Auflösung der Republik durch Truppen des preußischen Königs im Deutschhaus zusammen. Die letzte Sitzung fand am 31. März 1793 statt. Dem Deutschhaus blieb der Ruhm, Sitz des ersten deutschen Parlaments gewesen zu sein.

In der Zeit danach hatte das Haus ganz unterschiedliche Funktionen: Napoleon ließ das Deutschhaus zum kaiserlichen Palast ausgestalten. Der Kaiser weilte insgesamt zehnmal hier.

Anschließend nutzten die hessischen Großherzöge das Palais als Residenz. 1842 schrieb das Deutschhaus Wirtschaftsgeschichte: Hier fand die erste allgemeine deutsche Industrieausstellung - eine bedeutende Industriemesse - statt.

Nach dem Ersten Weltkrieg fungierte es als Sitz des Oberkommandierenden der französischen Besatzungsmacht. Nach dem Abzug war das leer stehende Gebäude als Museum vorgesehen. Schließlich bezog um 1935 die nationalsozialistische SA-Brigade 150 das Haus. Von hier erhielten die Nationalsozialisten in der Nacht auf den 9. November 1938 die Befehle zu den Novemberpogromen in der Region. Beim verheerenden Luftangriff auf Mainz am 27. Februar 1945 brannte das Deutschhaus bis auf die Außenmauern nieder.

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Das Deutschhaus in Mainz. Hier sitzt der rheinland-pfälzische Landtag. Das Gebäude hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Foto: dpa

Wiederaufbau dauerte nur 153 Tage

Ab November begann der Wiederaufbau, auf der Baustelle herrschte Hochbetrieb. Rund 320 Arbeiter schufteten jeden Tag, selbst im Winter bei 30 bis 40 Zentimeter hohem Schnee. Die Kosten für die Wiederherstellung des Hauses (im ursprünglich barocken Stil) von 1,2 Millionen Mark zahlte die französische Besatzungsbehörde. Die Arbeiten dauerten lediglich 153 Tage.

Der Plenarsaal erhielt bis heute zweimal ein neues Gesicht. 1986/87 markierte der Umbau nach den Plänen des Architekten Jobst Kowalewsky ein Stück Parlamentsreform: Der Landtag führte die Rundform ein, wonach die Abgeordnetensitze, die Regierungsbank sowie das Präsidium einen Kreis bilden.

Seit 2016 standen beim in die Jahre gekommenen Gebäude umfangreiche Sanierungsarbeiten an, die historische Fassade blieb dabei erhalten. Der Landtag nutzte in dieser Zeit die Steinhalle des Landesmuseums, das Mainzer Rathaus sowie die Rheingoldhalle als Übergangsquartier. 2016 und 2017 erfolgten eine komplette Entkernung im Innern des Deutschhauses und der Abriss des Restaurantanbaus aus den 50er-Jahren. Im Jahr 2019 waren die Rohbauarbeiten des neuen Anbaus abgeschlossen, der Landtag feierte im Sommer nach dem Ende der Rohbauarbeiten am Deutschhaus Richtfest. Nach knapp sechs Jahren kehrte der Landtag schließlich im September 2021 in sein Stammhaus zurück. Die Wiedereröffnung feierte die Landespolitik am 8. September 2021 mit einem Festakt. Die Gesamtkosten der Landtagssanierung belaufen sich am Ende auf rund 73 Millionen Euro.
 

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„Der Landtag ist der zentrale Ort für politische Debatten und Entscheidungen in Rheinland-Pfalz. Er ist der Ort, an welchem nach klaren Regeln und transparent über die besten Lösungen für das Leben der Menschen im Land gerungen wird. Er ist der Ort, an welchem verbindliche und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden. Hier wird entschieden, für was das Land Geld ausgibt, hier wird die Ministerpräsidentin/ der Ministerpräsident gewählt, hier wird entschieden, welche Politik in zentralen Bereichen wie Bildung, Wirtschaft, Verkehr oder Umwelt gemacht werden soll. Aber hier wird nicht nur Politik gemacht, sondern sie wird auch erklärt und begründet. Damit wird der Landtag seiner Verantwortung gerecht, das Volk zu vertreten.“

Hendrik Hering, Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz

Mit dem sanierten Deutschhaus sei ein „attraktiver, moderner und zeitgemäßer Ort der Demokratie entstanden, in dem sich Geschichte, Gegenwart und Zukunft verbinden“, freute sich Landtagspräsident Hendrik Hering damals.

Das Deutschhaus ist heute der Ort, die Herzkammer der Demokratie in Rheinland-Pfalz. Hier kommen die 101 vom Volk gewählten Abgeordneten regelmäßig zusammen. Hier diskutieren die Landtagsmitglieder über aktuelle politische Themen, ringen um die besten Lösungen, streiten, entscheiden über neue Gesetze. Landtagspräsident Hendrik Hering sagt: „Der Landtag ist der zentrale Ort für politische Debatten und Entscheidungen in Rheinland-Pfalz. Er ist der Ort, an welchem nach klaren Regeln und transparent über die besten Lösungen für das Leben der Menschen im Land gerungen wird. Er ist der Ort, an welchem verbindliche und nachvollziehbare Entscheidungen für das Land getroffen werden.

Hier wird entschieden, für was das Land Geld ausgibt, hier wird die Ministerpräsidentin/ der Ministerpräsident gewählt, hier wird entschieden, welche Politik in zentralen Bereichen wie Bildung, Wirtschaft, Verkehr oder Umwelt gemacht werden soll. Aber hier wird nicht nur Politik gemacht, sondern sie wird auch erklärt und begründet. Damit wird der Landtag seiner Verantwortung gerecht, das Volk zu vertreten.“ Bastian Hauck

Zahlen, Daten und kuriose Fakten aus 75 Jahren Parlament:

- Datum der ersten Landtagswahl: 18. Mai 1947
- Dauer der Wahlperiode: bis 1991 vier Jahre, ab 1991 fünf Jahre
- So oft hat der Landtag eine Ministerpräsidentin/einen Ministerpräsidenten gewählt: 24-mal.
- Gesamtzahl der Abgeordnete in 75 Jahren: 828 Abgeordnete
- Nötige Anzahl von Mitgliedern zur Bildung einer Fraktion: 1947 acht Mitglieder, 2022 fünf Mitglieder
- Gesamtdauer der Plenarsitzungen, Anzahl der Plenartage in 75 Jahren: 1587 Sitzungstage, insgesamt dauerten die Plenarsitzungen rund 384 Tage
- Seitenzahl der Plenarprotokolle: 89 256
- Kürzeste und längste Plenarsitzung: Zwei Minuten (am 12.September 1960 und 19. Mai 1964), 20 Stunden und 51 Minuten (am 12. Dezember 1985)
- Bewilligte Haushalte (Finanzvolumen gesamt): 721825946452, 57 Euro
- Anzahl der Verfassungsänderungen: 39, die letzte am 1. April 2022 (RLP ist das Land mit den meisten Änderungen der Verfassungen, nur dass Grundgesetz wurde mehr als 60-mal geändert)
- Anzahl der bis heute veröffentlichten Drucksachen: insgesamt 81 019 Drucksachen, mit 15 017 Drucksachen ist die 17. Wahlperiode Spitzenreiter