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Das letzte Fallbeil des Landes

Wie eine junge Frau aus Bad Neuenahr nur knapp der Todesstrafe entgangen ist

29.05.22
Das letzte Fallbeil des Landes

Erst 1991 ist die Todesstrafe offiziell aus der Landesverfassung gestrichen worden. Zum Einsatz kam das Fallbeil zum Glück aber nie. Foto: GDKE-Landesmuseum Koblenz, Michael Jordan

Im Depot der Generaldirektion Kulturelles Erbe in Engers schlummert ein schauriges Relikt unserer Landesgeschichte. Ein Fallbeil. Messerscharf – und potenziell tödlich. Die Guillotine ist noch immer gut gepflegt, aber nicht mehr ganz funktionstüchtig. Denn sie ist mittlerweile in ihre Einzelteile zerlegt worden. Das Archiv beherbergt damit das wohl dunkelste Kapitel der Landesverfassung, die genau vor 75 Jahren beschlossen worden ist. Mit dem Fallbeil sollte Artikel 3 vollstreckt werden. „Das Leben des Menschen ist unantastbar“, heißt es dort zwar 1947. Aber: „Es kann (...) auf Grund des Gesetzes als Strafe für schwerste Verbrechen gegen Leib und Leben durch richterliches Urteil für verwirkt erklärt werden.“

Ein höchst befremdlicher Zusatz, den es ansonsten nur noch in der hessischen Landesverfassung gab und der ein Bad Neuenahrerin nach Kriegsende um ein Haar den Kopf gekostet hätte. Die junge Frau muss sich damals vor einem Koblenzer Gericht verantworten. Der Vorwurf: doppelter Kindsmord. Im Juli wird ein Urteil gefällt, das uns auch heute noch einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt: Tod durch Enthaupten. Damit knüpft die junge Demokratie bei der Todesstrafe an die grausame Praxis der Nazidiktatur an.

Doch der Vollzug stößt auf unerwartete Schwierigkeiten. Denn Rheinland-Pfalz verfügt weder über eine Richtstätte noch über eine Guillotine. Und so wird zunächst eine Arrestzelle der Mainzer Haftanstalt zum Hinrichtungsort umgebaut. Fehlt noch das Fallbeil. Doch das muss erst noch gebaut werden. Es findet sich allerdings niemand im Land, der das Messer schmieden und das Holzgerüst zimmern will. Die Gräuel der Nazidiktatur sitzen bei den Menschen offenbar noch tief. Und so wird Nordrhein-Westfalen um Amtshilfe gebeten.

Am Ende findet sich tatsächlich noch ein Unternehmen, das die Guillotine herstellen will. Die Firma Tiggemann aus dem westfälischem Hamm hat schon die Hinrichtungsstätte in Dortmund beliefert. Den Scharfrichter stellt am Ende Niedersachsen, nachdem sich unter anderem ein Mainzer Schlachter vergeblich beim Justizministerium um den Posten beworben hat, wie der Autor Wolfgang Stumme recherchiert hat. In Mainz stört es offenbar auch niemanden, dass der auserwählte Scharfrichter seinem grauenvollen Handwerk schon unter den Nationalsozialisten nachgegangen ist. Doch Tiggemann kommt nicht so recht mit der Fertigstellung des Tötungsinstruments voran. Die Lieferung verzögert sich immer wieder. Erst Anfang 1949 wird die Guillotine schließlich nach Mainz geliefert – als Bausatz. Am 11. Mai 1949 verkündet ein Justizbeamter schließlich: „Die Anlage ist betriebsbereit.“ Für die verurteilte Kindsmörderin aus Bad Neuenahr müssen es Monate zwischen Hoffen und Bangen gewesen sein. Doch die Frau hat unglaubliches Glück. Denn nur wenige Tage bevor das Fallbeil im Mainzer Gefängnis im heutigen Isenburg-Karree eintrifft, hat der Parlamentarische Rat in Bonn beschlossen, die archaische Strafe aus der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu streichen.

Am 24. Mai 1949 tritt das Grundgesetz dann offiziell in Kraft. Und dort wird in Artikel 102 ganz dezidiert festgelegt: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Bundesrecht bricht bekanntlich Landesrecht. Und so wird das Urteil für die junge Frau in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Im Jahr 1970 wird sie schließlich aus dem Gefängnis entlassen und zieht nach Niedersachsen um, wo sie auch gestorben sein soll.

Die Todesstrafe selbst wird kurioserweise erst 1991 aus der Landesverfassung gestrichen, ohne je angewandt worden zu sein. Somit kommt auch die Guillotine glücklicherweise nie zum Einsatz. Stattdessen wird sie zunächst im Bonner Haus der Geschichte ausgestellt – und erschreckt viele Besucher. Bis sie vor wenigen Jahren nach Engers umzieht, um im Archiv zu verschwinden. Dirk Eberz

Guillotine ist nach Arzt benannt

Die Guillotine erhielt ihren Namen von dem französischen Arzt Joseph-Ignace Guillotin, der sich nach der Französischen Revolution 1789 für das Fallbeil einsetzte, um Hinrichtungen zu „humanisieren“. Auch Tausende unschuldige Menschen fielen der Guillotine in der Folge zum Opfer. Mit dem französischen Strafrecht setzte sich die Guillotine dann auch in den meisten deutschen Ländern westlich der Elbe durch. Ähnliche Hinrichtungsgeräte kannte man jedoch schon seit dem Mittelalter.