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Bei grünem Geld lohnt sich ein zweiter Blick

Der Nachhaltigkeitsbegriff wird in der Finanzbranche immer bedeutsamer, doch die Grenzen zwischen ESG-konformer Kapitalanlage und Greenwashing sind gar nicht so leicht zu erkennen

28.09.22
Bei grünem Geld lohnt sich ein zweiter Blick

Christian Schlosser, Geschäftsführer der Koch Gebäudetechnik GmbH, steht in einem seiner Solarparks bei Wirges im Westerwald. Foto: Jens Weber

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Gibt es grünes Geld? Aufgrund der grünen Farbe auf der Rückseite der Banknoten nennen die Amerikaner ihren Dollar „Greenback“ – „Grünrücken“. In der Finanzbranche ist mit der Suche nach grünen Investitionen aber etwas anderes gemeint. Glaubt man den einschlägigen Umfragen und Statistiken, so boomt die Suche nach nachhaltigen Investitionen. Laut dem Marktbericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) hat sich das Finanzvolumen nachhaltiger Investmentfonds in Deutschland zwischen den Jahren 2010 und 2020 von 5,8 auf 107 Milliarden Euro fast verzwanzigfacht. Tendenz weiter deutlich steigend. Laut einem aktuellen Anlegerbarometer der Union Invest würden „knapp 60 Prozent der Anleger in Deutschland in Unternehmen investieren, die nachhaltig handeln“.

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Fragt man die Praktiker, zeigt sich ein differenzierteres Bild. „Das Wort Nachhaltigkeit kommt im Anlagegespräch zuerst vom Berater, nicht vom Kunden“, schildert Thorsten Ackermann, Vertriebsdirektor Private Banking bei der Sparkasse Rhein-Nahe in Bad Kreuznach. Privatkunden, die ihr Vermögen anlegen wollen, folgen auch in Zeiten des Klimawandels ganz traditionellen Überlegungen. Welche Rendite erzielt eine Geldanlage, wie risikoarm oder risikoreich ist das Invest?

Mit diesen Überlegungen kommen Anleger in die Gespräche. Was Ackermann und seine Berater aber seit einiger Zeit registrieren, ist, wie aufgeschlossen die Kunden reagieren, wenn das Thema nachhaltige Investition auf den Tisch kommt. „Viele Kunden fragen zunächst, was das überhaupt ist, sind dann aber sehr interessiert, welche Möglichkeiten bestehen“, berichtet Ackermann aus den Erfahrungen.

Dass der in Statistiken dokumentierte Wille zu nachhaltigen Investitionen und das im Gespräch praktisch erfahrbare Wissen dazu noch weit auseinander liegen, ist kein Wunder. Schon im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Nachhaltigkeitsbegriff zuweilen ein sehr schillernder. Das gilt erst recht für die Finanzwelt. Während in der Umweltpolitik Nachhaltigkeit die dauerhafte ökologische Verträglichkeit beschreibt, war das Wort Nachhaltigkeit in der Wirtschaftswissenschaft lange ein Synonym für einen erwartbaren dauerhaften ökonomischen Erfolg eines Geschäftsmodells. Diese Doppeldeutigkeit des Begriffs bietet bis heute Raum für Missverständnisse – oder Schlimmeres.

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Quelle: FNG-Marktbericht 2021

Wer heute von nachhaltigen Geldanlagen spricht, sollte das in Bezug auf die Umwelt und auch auf soziale Aspekte tun. Für den einzelnen Geldanleger bedeutet dieser sprachliche Paradigmenwechsel aber auch finition sicher oder garantieren automatisch einen langfristigen ökonomischen Erfolg. Investitionen in nach neuer Definition nachhaltige Unternehmen können genauso riskant sein wie klassische Geldanlagen. Ein geschlossener Fonds oder ein Direktinvest in einen Solarpark, Windräder oder ein Wiederaufforstungsprojekt kann genauso zum Totalverlust führen wie eine Investition, die den Umweltgedanken komplett außen vor lässt. Ein eventuell sogar erhöhtes Klumpenrisiko durch Nachhaltigkeit, das zuweilen unterstellt wird, sehen die meisten Experten aber nicht. Selbst wer sein ganzes Portfolio strengstens nachhaltig ausrichten wollte, könnte noch eine absolut ausreichende Streuung an Produkten und Branchen erzielen.

Als ein Standardkriterium für die Nachhaltigkeit eines Anlageprodukts beginnt sich das Kürzel ESG zu etablieren. Die Abkürzung ESG (Environmental, Social and Governance) steht für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Eine ESGkonforme Geldanlage muss beispielsweise Aspekte wie Klimaschutz, nachhaltige Nutzung von Ressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft und die Verminderung der Umweltverschmutzung berücksichtigen.

Gleichzeitig darf ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen der Erreichung von Umweltzielen nicht soziale oder ethische Belange opfern. Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) gibt dafür ein einprägsames Beispiel: Ein Unternehmen stellt Solarstromspeicher her. Das ist gut für die Umwelt. Das für die Herstellung benötigte Metall Kobalt wird allerdings zu Teilen durch Kinderarbeit gewonnen. Da zeigt sich schon, dass es mit der Nachhaltigkeit auf den zweiten Blick manchmal ziemlich schwierig sein kann.

Patrick Stoß ist nicht nur Pressereferent der Sparkasse Rhein-Nahe, sondern führt seit einigen Jahren auch den Titel „Koordinator Nachhaltigkeit“. Ein schwieriger Begriff, wie er selbst findet. „Wir müssen uns vielleicht die Frage stellen, ob das Wort nicht generell verbrannt ist“, sagt Stoß über „Nachhaltigkeit“. Da könne heute doch so ziemlich jeder genau das hineininterpretieren, was seinen Interessen diene. Auch beim Werben um fremdes Kapital. Gut, dass Aktienanteile einer Firma, die Streubomben herstellt, nicht ins Portfolio gehören, da finde sich wohl ein breiter Konsens.

„Aber kurz dahinter wird es doch schon schwierig“, sagt Stoß. Dass die EU jüngst der Atomkraft unter gewissen Voraussetzungen ein Nachhaltigkeitslabel zugestanden habe, dient ihm als Beispiel. Wie könne eine Technologie, bei der die Lagerung radioaktiver Abfälle bis heute zulasten kommender Generationen als ungeklärt gelten müsse, im Sinne des Kapitalmarktes nachhaltig sein, fragt sich Stoß.

Die Europäische Union hat mit dem Kriterienkatalog der Taxonomie inzwischen zumindest eine Messlatte definiert, die für eine einheitliche Beurteilung der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten sorgen soll. Zusammen mit der sogenannten Offenlegungsverordnung, die die Pflichten von Finanzdienstleistern regelt, auf Nachhaltigkeitsthemen in ihren Strategien, Prozessen und Produkten hinzuweisen, soll die Liste den Anbietern und Kunden des Finanzsystems helfen, bei umweltfreundlichen Finanzprodukten eine einheitliche Sichtweise und Sprache zu finden und das verpönte Greenwashing zu verhindern.

Die EU will schließlich bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt werden. Um dies zu erreichen, müssen selbstverständlich gigantische Summen investiert werden, um das Wirtschaftssystem umzubauen. Der „EU-Aktionsplan für nachhaltiges Finanzwesen“ soll helfen, Fördermittel und Geld von Investoren in nachhaltige Projekte und zukunftsfähige Branchen zu lenken.

Dieser Aktionsplan hat zwei wesentliche Bestandteile: die Taxonomie und die Offenlegungsverordnung. Die EU-Taxonomie definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig angesehen werden. Die Offenlegungsverordnung wiederum verpflichtet Finanzmarktanbieter wie Kreditinstitute oder Fonds, transparent darüber zu informieren, inwieweit sie Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Seit Januar 2022 sind diese Regelwerke nun in Kraft.

Investmentfonds oder Verwaltungsgesellschaften, die ein Finanzprodukt als ökologisch vermarkten, werden darin angewiesen, über den Anteil an taxonomiekonformen Investitionen im Portfolio zu berichten. Zudem müssen Unternehmen künftig in ihren nicht finanziellen Reports Angaben darüber aufnehmen, wie und in welchem Umfang ihre Aktivitäten mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Demnach haben sowohl große kapitalmarktorientierte Unternehmen als auch Kreditinstitute und Versicherungen, sofern sie mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen, die neuen Berichtspflichten zu erfüllen. Sie müssen nun eine entsprechende Erklärung abgeben.

Für Patrick Stoß ist Nachhaltigkeit ein Bildungsthema, was bedeutet: ein langfristiges. „Wir müssen darauf achten, dass wir Engagement nicht mit Aktionismus verwechseln“, sagt Stoß und erzählt eine Anekdote. Die Sparkasse Rhein-Nahe unternimmt mit ihren Azubis im Rahmen der Ausbildung auch Teambuilding-Events.

Die Auszubildenden pflanzen an einem Teamtag Bäume und begleiten diese dann über die Ausbildungsjahre, bis die Bäume Früchte tragen. Der Kooperationspartner der Bank, ein Experte für Böden und Pflanzen, überzeugte die Sparkassen-Ausbilder in diesem Jahr, auf die Aktion zu verzichten. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit hätten die Baumpflanzen wohl keine Chance, es sei sinnlos, sie einzupflanzen. Stoß erzählt die Geschichte gern, um auf die Trennlinie zwischen Aktionismus und Nachhaltigkeit hinzuweisen.

So ist es mit der Geldanlage auch ein bisschen wie mit den Bäumen. Nicht alles, was auf den ersten Blick schön grün aussieht, trägt in ein paar Jahren auch Früchte. Thomas Haag

Greenwashing und Sustainable Finance

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Mehr Schein als Sein: Mit Greenwashing polieren Unternehmen vielleicht ihr Image auf, nachhaltig ist das allerdings nicht. Foto: tanaonte/Adobe Stock

Mit dem Begriff „Greenwashing“ wird der Versuch von Unternehmen bezeichnet, sich insbesondere durch Kommunikation und Marketing ein grünes, nachhaltiges Image zu geben, ohne entsprechende Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich anzustreben. Die bekanntesten Fälle von Greenwashing beziehen sich auf produzierende Unternehmen der Realwirtschaft. Mit zunehmendem Bewusstsein für und Interesse an dem Beitrag des Finanzsektors zur nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Finance) hält das Phänomen auch hier Einzug. So werden beispielsweise Finanzprodukte damit beworben, dass sie einen nachhaltigen „Impact“ hätten, also einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten, ohne diesen Beitrag tatsächlich nachzuweisen oder gar messbar zu machen.

Ein bekanntes Beispiel aus der Vergangenheit betraf die Deutsche-Bank-Tochter DWS. Diese entließ die damalige Nachhaltigkeitschefin Desiree Fixler im Jahr 2021, da sie die Praxis der DWS in Bezug auf Sustainable Finance intern stark kritisiert hatte. Konkret soll die DWS nicht so nachhaltig investiert haben, wie sie es gegenüber der Öffentlichkeit und Kunden kommuniziert habe. Daraufhin untersuchten nicht nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), sondern auch mehrere US-Behörden die nachhaltigen Investmentprodukte der DWS. Der Skandal zeigte auch Auswirkungen auf den Aktienkurs des Instituts, der zwischenzeitlich um 14 Prozent einbrach. Der Fall ging in eine zweite Runde, als am 31. Mai 2022 eine polizeiliche Untersuchung der DWS- und Deutsche-Bank-Räumlichkeiten stattfand. Der Aufruhr, den dies verursachte, bewog den CEO der DWS, Asoka Wöhrmann, zu einem Rücktritt. Der Fall DWS verdeutlicht einmal mehr auch die Risiken, die mit dem Vortäuschen von und Werben mit Nachhaltigkeit verbunden sind. (Quelle: Bundesumweltministerium)