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Sieben Männer und eine Frau kamen an die Macht

Auf die Ära der CDU in der Landesgeschichte folgt seit 1991 die SPD – Als erste Frau regiert seit 2013 Malu Dreyer – zum zweiten Mal mit einer Ampel

29.05.22
Sieben Männer und eine Frau kamen an die Macht

Historische Runde zum 60. Landesgeburtstag: die ehemaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, Rudolf Scharping, Helmut Kohl, Carl-Ludwig Wagner und Kurt Beck, damals noch Gastgeber Foto: Jens Weber

Vor 75 Jahren hat sich Ministerpräsident Peter Altmeier nicht vorstellen können, dass Rheinland-Pfalz als Land aus der Retorte eine lange Zukunft hat. Aber er sollte sich gewaltig irren – im neuen Bindestrichland aus Teilen der früheren preußischen Rheinprovinz, von Bayern und Hessen und ehemals oldenburgischem Gebiet. Wer aber hat das Land regiert, seit das Volk vor 75 Jahren über seine demokratische Verfassung abgestimmt hat und seither in Freiheit lebt?

Wilhelm Boden (CDU, 1946 bis 1947): Der 1946 zunächst provisorisch eingesetzte Regierungschef muss am 9. Juli bereits 1947 aufgeben. Er gilt als nicht mehr haltbar, weil er 1945 vor politischen Risiken bei der Aufnahme protestantischer Heimatvertriebener in überwiegend katholischen Gegenden warnte.

Peter Altmeier (CDU, 1947 bis 1969): Der bisherige Fraktionschef bildet eine Allparteienkoalition aus CDU, SPD, Liberalen und Kommunisten. In der provisorischen Landeshauptstadt Koblenz kann er 1947 „nichts versprechen als die Aussicht auf ein Dasein voller Entbehrung, Not und schwerster Arbeit“. Der Koblenzer muss bei begrenztem Handlungsspielraum der Besatzungsmacht größte Diplomatie beweisen, um Firmen vor der Demontage zu bewahren. Gleichzeitig muss das zerstörte Land gigantische Besatzungskosten bezahlen. Altmeier geht als Versöhner in die Geschichte ein: Schon 1956 begründet er die Partnerschaft mit Burgund. Zu seinen schönsten Stationen hat er später die von ihm einberufene Rittersturz-Konferenz in Koblenz gezählt, die 1948 historische Fakten für das Grundgesetz schafft. An erste Aufbauerfolge erinnert etwa die Moselkanalisierung.

Helmut Kohl (CDU, 1969 bis 1976): Nach der Rekordamtszeit von 22 Jahren wird Altmeier von Kohl 1969 machtvoll zum Rücktritt gedrängt. Der junge Partei- und Fraktionschef (39) erklärt ihn zum „Ministerpräsidenten auf Abruf“ und rückt seinen Schreibtisch in Altmeiers Amtssitz, um das „Kalkwerk“, wie er die alte Garde nennt, kontrolliert zu beenden. Im Kabinett platziert er zwei Vertraute: Bernhard Vogel als Kultusminister, Heiner Geißler als Sozialminister. Kohl schafft nicht nur Konfessionsschulen ab. Er setzt auch – gegen laute lokale Proteste, aber im Schulterschluss mit der SPD – die Verwaltungsreform durch – legt Kommunen zusammen, löst den Regierungsbezirk Montabaur auf und schafft Verbandsgemeinden. Geißler legt als bundesweiter Vorreiter das erste Kindergarten-, Krankenhausreform- und Sportförderungsgesetz vor,baut Sozialstationen auf. 1975 schließen sich Autobahnlücken auf der A 61 und A 48. Kohl versammelt profilierte Vordenker um sich: Norbert Blüm, später Bundesarbeitsminister, und der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker erhalten Bundestagswahlkreise. Der spätere Bundespräsident Roman Herzog wird 1973 als Chef der Landesvertretung Statthalter in Bonn. Er beschreibt Kohls Landesvertretung als „Kraftzentrum deutscher Innenpolitik“ – eine Basis für Kohls Kanzlerkandidatur 1976.

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Es war ein langer Weg, bis mit Malu Dreyer (SPD) die erste Frau im Land an die Macht kam. Da Wilhelm Boden (links) nur kurz im Amt war, prägte vor allem der Koblenzer Peter Altmeier das Land von 1947 bis 1969. Dann löste ihn Helmut Kohl ab. Foto: dpa/rz-Archiv
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Bernhard Vogel (CDU, 1976 bis 1988) kann als Kohls Nachfolger in Partei und Staatskanzlei 1979 die absolute Mehrheit verteidigen und lässt 1982 mit einem „medienpolitischen Urknall“ aufhorchen: Mit dem Kabelpilotprojekt Ludwigshafen erhält der öffentlichrechtliche Rundfunk erste Konkurrenz. Vogel gründet die Uni Koblenz-Landau, führt den Rheinland-Pfalz-Tag ein. Aber in der außerparlamentarischen Opposition verspricht FDP-Chef Rainer Brüderle 1987 „frischen Wind“. Frech marschiert er in den Weinkeller der Staatskanzlei, um Vogels verdutzter Runde zu erklären: „Will nur einmal sehen, wo wir künftig auch hocken.“ In der Tat: Die CDU verliert die absolute Mehrheit. Da die FDP Vogel ein neues Kommunalwahlrecht abtrotzt, fürchten CDU-Amtsträger um Posten. Es rumort. Der Vorwurf der Selbstherrlichkeit wird laut. Der Knall folgt beim Koblenzer Landesparteitag am 11. November 1988. Vogel verliert den Parteivorsitz klar gegen Umweltminister Hans-Otto Wilhelm, der die „verkrustete Partei aus der Macht heraus erneuern“ und die Trennung von Regierungs- und Parteiamt will. Mit dem Ausruf „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ stürzt Vogel aus dem Saal und dem Amt.

Carl-Ludwig Wagner (CDU, 1988 bis 1991): Der neue Parteichef Hans-Otto Wilhelm scheut den Durchmarsch in die Staatskanzlei: Finanzminister Carl-Ludwig Wagner (Trier) wird Ministerpräsident, Wilhelm aber sein zu den Reformen drängende Gegenpart in der eigenen Fraktion.

Rudolf Scharping (SPD, 1991 bis 1994): Als Kanzler Kohl nach der „Einheitswahl“ von 1990 den Soli einführt, wird er als „Umfaller“ kritisiert und der Steuerlüge bezichtigt. Da trumpft SPD-Landeschef Rudolf Scharping richtig auf. Im April 1991 schafft er den historischen Machtwechsel – und Brüderle als bisheriger Partner der CDU die Wende in der FDP. Die sozialliberale Ära soll bis 2006 dauern. Mit dem Abzug der US-Truppen ist die erste schwere Konversionsaufgabe zu stemmen. Scharping und Brüderle werden zu Politpiloten des Flughafens Hahn, der im 70. Jahr des Landes an ein chinesisches Unternehmen verkauft werden und 2021 Insolvenz anmelden muss. Mit dem Verkauf von Landesbankanteilen werden Stiftungen sowie 1993 die Investitions- und Strukturbank geschaffen. Als Scharping per Mitgliederbefragung zum SPD-Chef aufsteigt, wechselt er 1994 als Kanzlerkandidat nach Bonn – ohne Fortune.

Kurt Beck (SPD, 1994 bis 2013) übernimmt Parteivorsitz und Staatskanzlei. Mit der FDP muss er den Strukturwandel nach dem Abzug von Truppen gestalten. Trotzumph bahnt sich aber auch ein Zenit der Macht an. Nach einer Schmach bei einer SPD-Klausur 2008, als Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wird, zieht sich Beck vom Bundesvorsitz zurück. Auch im Land läuft es nicht mehr rund: Die private Finanzierung des gigantischen Nürburgring-Ausbaus platzt 2009. Finanzminister Ingolf Deubel muss gehen – später auch ins Gefängnis. In der Justiz herrscht Aufruhr, weil Beck und Justizminister Heinz Georg Bamberger mit allen Mitteln Hans-Josef Graefen als Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz verhindern wollen. Zudem lässt Beck die Fraport am Flughafen Hahn klaglos ziehen, die stets hohe Defizite übernommen hat. Die Quittung 2011: Becks SPD sackt von 45,6 auf 35,7 Prozent ab, muss mit Grünen koalieren, erlebt neue Rückschläge. Gegen Pläne, das Koblenzer OLG aufzulösen, protestieren Tausende – erfolgreich. 2012 muss Beck die Pleite des Nürburgrings verkünden. Anfang 2013 tritt er zurück. Parteichef ist bereits Innenminister Roger Lewentz.

Malu Dreyer (SPD, seit 2013), zuvor Sozialministerin, kommt als erste Frau an die Macht. Gleich 2014 wird zum Problemjahr. Der Flughafen Zweibrücken ist pleite. Und: Der Skandal am Nürburgring hallt nach – mit dem Urteil gegen Ex-Minister Ingolf Deubel (SPD) und gescheitertem Verkauf an einen Düsseldorfer Autozulieferer. Der Ring kommt mehrheitlich in die Hand des russischen Milliardärs Viktor Charitonin – für 77 Millionen Euro, den Verkehrswert der vor dem 330 Millionen Euro teuren Ausbau bestehenden Rennstrecken. Dreyer, in der SPD als „Königin der Herzen“ gefeiert, will sich vom Thema befreien und beweist mit großer Kabinettsumbildung: Die Frau mit dem Image der Kümmerin kann auch Härte. Die Landtagswahl 2016 gewinnt sie, obwohl CDU-Landeschefin Julia Klöckner lange in Umfragen geführt hat. Dreyer schmiedet mit FDP und Grünen die erste Ampelkoalition. Sie übersteht einen Misstrauensantrag, nachdem der erste Versuch, den Hahn 2016 an Chinesen zu verkaufen, zur Luftnummer wird. In der Corona-Krise fühlen sich die Bürger gut regiert. Gegen den „Malu-Effekt“ hat die CDU auch 2021 keine Chance. Es folgt Dreyers zweite Ampel – auch als Vorlage im Bund. Der Beginn der zweiten Amtszeit wird für die in der Bundes-SPD hoch geachtete Regierungschefin von der verheerenden Flut an der Ahr am 14./15. Juli 2021 überschattet. Die Katastrophe reißt 134 Menschen in den Tod, zerstört Existenzen, Ortschaften, Straßen und Brücken. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Koblenzer Staatsanwaltschaft und Landtag prüfen mögliches Versagen vor und in der Todesnacht. Erste politische Konsequenz: Ex-Landesumweltministerin Anne Spiegel (Grüne), nach der Flut 2021 überraschend zur Bundesfamilienministerin aufgestiegen, muss 2022 ihr Amt aufgeben. Mit dem Ukrainekrieg naht die nächste Mammutaufgabe: die Integration von Flüchtlingen. Vorher will Dreyer noch den Dauerstreit um kommunale Finanzen entschärfen. Der Verfassungsgerichtshof hat 2020 das Land schließlich zum zweiten Mal dazu verdonnert, Geldströme neu zu ordnen. Erster Schritt: Die Mehrheit im Landtag stimmt für eine Verfassungsänderung, damit das Land trotz Schuldenbremse die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen kann – etwa 3 Milliarden Euro. Kurz vor dem Landesfest bringt Dreyers Ampel dann das lange geforderte Gesetz zum neuen Finanzausgleich auf den Weg. Ursula Samary