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Inhalt zählt - so war und ist es zu allen Zeiten

Journalismus im Digitalzeitalter: Bill Gates' Prophezeiung und die Realität des Zeitungswandels

29.09.23
Inhalt zählt - so war und ist es zu allen Zeiten

Manches bleibt unverändert gültig und konnte deshalb schon vor Jahrzehnten in Stein gemeißelt werden: die journalistischen Leitlinien der Rhein-Zeitung. Heute sind sie eine Station auf den Führungen im Druckhaus. Foto: Jens Weber

Wir schreiben das Jahr 2023. Somit halten Sie, liebe Leserinnen und Leser, 23 Jahre nach dem prophezeiten Aus der gedruckten Tageszeitung einen gedruckten Text in Ihren Händen. Was sagt uns das über die Prophezeiung? Sie hat nicht allzu viel getaugt oder war wie so oft von ganz anderen Interessen geleitet als von dem, eine schlichte, neutrale Feststellung zu treffen.

Man könnte also jetzt geneigt sein, diese Prophezeiung beruhigt in den analogen oder digitalen Papierkorb der Mediengeschichte zu legen. Aber auch damit würde man etwas Falsches tun. Denn die Prognose vom Ende der Zeitungen stammte nicht von Nostradamus, der ja bekanntlich alles gewusst hat, sondern von Bill Gates. Bei einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Persönlichkeiten aller Zeiten, die im Übrigen bis heute sorgsam ausgewählte Medien mit Millionenbeträgen aus ihrer persönlichen Stiftung heraus unterstützt, sollte man schon etwas genauer hinschauen.

Nun denn: Gates traf seine Prognose im Jahr 1990 und bezifferte das Ablaufdatum für die gedruckten Medien auf das Jahr 2000. Man darf mit Fug und Recht unterstellen, dass es damals auch der Digitalpionier und Microsoft-Gründer war, der da sprach. Das Internet in Form seiner grafisch leicht konsumierbaren Oberfläche namens World Wide Web stand kurz vor dem Durchbruch zum Massenmedium. „Digital ist besser“ nicht nur die deutschen Indierocker von „Tocotronic“ sangen in den 90ern dieses Lied. Frei sollte die mediale Menschheit werden, befreit von allem Möglichen. Auch befreit von vermeintlicher Bevormundung durch Menschen, die sich beruflich um die Bewertung und Verbreitung von Nachrichten kümmern.

Wir wissen heute, dass es anders kam. Die Nachrichtenwelt verwandelte sich in eine zunehmend kakofonisches Nebeneinander, das den Boden für Donald Trump, Wladimir Putin und andere Totengräber der Demokratie bereitete. Auf einmal konnte buchstäblich jeder jeden Blödsinn behaupten, für kleines oder gar kein Geld publizieren und dann ... ja, dann war dieser Blödsinn eben in der Welt. Und diejenigen, die es entweder aufgrund ihrer Ausbildung oder von Berufs wegen tatsächlich besser wussten oder konnten, treten seither dagegen an. Wahr ist, wovon ich glaube, dass nur das wahr sein kann - an dieser geistigen Verengung leiden fatalerweise die freien Demokratien bis heute besonders, weil sie freie Meinungsäußerung innerhalb sehr weit gesteckter Grenzen zulassen. Ein Wladimir Putin tut das nicht, und ein Donald Trump würde sich am liebsten von dieser Last auch eher heute als morgen befreien wollen. Während manche sogenannte Plattformen mit all dem gehirnzersetzenden Dreck beziehungsweise seiner Verbreitung tonnenweise Geld verdienen.

Bill Gates so viel sei zu seiner Ehrenrettung gesagt hat das wohl weder kommen sehen noch gewollt. Vielleicht ist sein anhaltendes Engagement für manche (nicht für alle) Qualitätsmedien auch als eine Art Wiedergutmachung oder aktiver Schutz zu sehen. Schutz, den die Politik dem seriösen Journalismus übrigens jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis heute versagt. Aber, und das ist das Allerwichtigste: Trotz aller gesellschaftlichen und politisch gnadenlos unterschätzten Fehlentwicklungen hatte und hat Gates-Prophezeiung einen wahren Kern, und zwar einen technologischen. Darin behielt er recht, insbesondere mit Blick auf sein Heimatland USA.

Was Gates mit dem kühlen Blick des Strategen sah, war Folgendes: Durch die massiven technologischen Umwälzungen in Form des World Wide Web würden die klassischen, privat finanzierten Medienhäuser einem unvorstellbaren Druck ausgesetzt sein. Und den würde beileibe nicht jeder überleben. In den USA kam es tatsächlich zu einem flächendeckenden Zeitungssterben, allerdings aus ganz spezifischen Gründen. Die dortigen Titel finanzierten sich fast ausschließlich über Anzeigen und so gut wie kaum über Abonnements. Außerdem waren fast alle Verlage am Kapitalmarkt fremdfinanziert. Durch diese Welt ging das Internet wie das sprichwörtliche Messer durch die Butter.

Die Jugend von heute informiert sich anders. Sie kommt mit der Möglichkeit digitaler Angebote nicht nur gern, sondern auch gut zurecht. Foto: AspctStyle
Die Jugend von heute informiert sich anders. Sie kommt mit der Möglichkeit digitaler Angebote nicht nur gern, sondern auch gut zurecht. Foto: AspctStyle

In Europa und insbesondere in Deutschland ging dies anders aus. Weil es hier anders als in Übersee stabile Kundenbeziehungen in Form von Abonnements gab, die die Zeitungen schützten. Hierzulande behielt Gates also unrecht. Die Zeitungen erwiesen sich als robust und krisenfest. Aber: Unzerstörbar oder gar unsterblich sind sie keineswegs. Nicht nur wegen der von Gates präzise vorhergesagten technischen Entwicklungen, sondern auch, weil sich jede Prophezeiung, wenn sie nur groß genug ist, am Ende oft wenigstens teilweise doch aus sich selbst heraus erfüllt.

Womit wir bei dem angekommen wären, was die Wissenschaft soziodemografischen Wandel nennt. Seit 1990 sind mindestens zwei Generationen groß geworden, die entweder als Jugendliche sehr schnell mit den neuen Möglichkeiten digitaler Angebote zurechtkamen oder, weil sie noch jünger sind, kaum noch etwas anderes kennen und - was noch viel wichtiger ist auch nichts anderes mehr kennen wollen.

Das ist nicht nur völlig in Ordnung in einer freien Gesellschaft. Nein, es ist unausweichlich. Und die größte Ungerechtigkeit, die man den Jüngeren antun könnte, wäre es, sie für politisch oder gesellschaftlich desinteressiert zu halten. Das ist absoluter Quatsch und fällt in die seit Tausenden von Jahren beliebte Rubrik „Die Jugend von heute“, der zufolge die aktuell nachwachsende Generation nun aber endgültig den vollständigen Untergang des Abendlandes besiegeln werde. Das Abendland wird aber ebenso wenig untergehen wie die Zeitungen.

Aber: Die Jugend- und viele auch Ältere mit ihr informiert sich mittlerweile anders. Und damit hätten wir den Schraubstock beschrieben, in dem die klassischen Medienhäuser stecken: Auf der einen Seite knabbern sich die neuen digitalen Akteure bei allem, was sich irgendwie standardisieren, rubrizieren oder ohne originäre geistige Leistung als Journalismus anpreisen lässt, weiterhin ordentliche Stücke vom Kuchen ab. Auf der anderen Seite steht ein dramatisch geändertes Mediennutzungsverhalten, das zwar mediale Qualität weiterhin durchaus schätzt, aber eben nicht mehr nur automatisch aus klassischen Quellen. Die Substanz muss stimmen, der Inhalt wahrhaftig sein, die Möglichkeit zur Rezeption ortslos, die Aufarbeitung passend zum gewählten Empfängerkanal.

Das sind die Kriterien, die 2023 über Erfolg und Misserfolg entscheiden, sofern man sich nicht über Zwangsgebühren oder (mitunter versteckte) Sponsoren finanzieren kann.

Chefredakteur Lars Hennemann. Foto: Jens Weber
Chefredakteur Lars Hennemann. Foto: Jens Weber

Bei der Rhein-Zeitung und ihren Heimatausgaben gibt es nichts Verstecktes. Ihre Gesellschafter sind bekannt. Auch ist sie keinerlei Fremdkapital verpflichtet. Der Mittelrhein-Verlag, in dem die Zeitungen erscheinen, ist in einer Weise wirtschaftlich gesund und somit handlungsfähig, wie es dies leider auch in Deutschland nicht mehr überall der Fall ist. Daraus erwachsen Möglichkeiten, dem digitalen Wandel aktiv zu begegnen. Viele Ansätze, das Richtige zu tun, zeichnen sich, nachdem sich die Sturmund-Drang-Zeit des Internets schon lange dem Ende zugeneigt hat, auch ab. Auch manche Verirrung, der die Zeitungen selbst unterlagen, sind gottlob Geschichte. Vor allem die der kompletten Kostenlos-Kultur, der man in Koblenz einmal mehr als Pionier erfolgreich den Kampf ansagen konnte. Trotz mancher schwer verständlichen Diskussion: Kein Bäcker käme von sich aus auf die Idee, seine Kasse „Paywall“, also Bezahlschranke, zu nennen. Am Ende der Brötchentheke steht eine Kasse - fertig.

Das akzeptieren auch fast alle. Und diejenigen, die das nicht über sich bringen, sind ja nicht gezwungen, die Bäckerei zu betreten.

Bei den Zeitungen und den Medien allgemein wird noch intensiver über die Kasse diskutiert. Aber auch dies wird sich legen. Qualität hat ihren Preis. Jeder und jede muss und kann als Kunde oder Kundin entscheiden, ob ihm oder ihr der aufgerufene Preis fair und bezahlbar erscheint. Allein, nur mit dem durchaus mühsamen Wieder-ins-Bewusstsein-Rufen solcher eigentlich selbstverständlicher wirtschaftlicher Zusammenhänge haben die Zeitungen den Kampf um ihre Zukunft noch nicht gewonnen. Die Bezahlschranken sind nur ein erster Schritt, damit Bill Gates am Ende nicht doch noch recht behält.

Was nun - auch bei der Rhein-Zeitung - folgen muss, lässt sich in einen Satz fassen: Wir müssen das eine das Herausbringen einer lesenswerten und qualitätsvollen Zeitung weiterhin tun, ohne das andere das Entwickeln und Ausspielen marktfähiger Digitalangebote - zu lassen Marktfähig, um von diesem auch schon arg strapazierten Schlagwort gleich wieder herunterzukommen, bedeutet, dass man sich zunehmend in der konzeptionellen Arbeit der Redaktion von der Verpackung“ löst: Ja, es wird natürlich auch weiterhin in Koblenz für das gesamte nördliche Rheinland-Pfalz eine Zeitung gedruckt werden. Wir tragen den Begriff “Zeitung“ seit Jahrzehnten stolz in unserem Namen und werden dies weiterhin tun. Aber ist das Produkt unserer Arbeit - regionaler Qualitätsjournalismus eigentlich wirklich nur so begehrt und wichtig, weil es auf Papier gedruckt wird? Oder bemisst sich diese Wertschätzung nicht vielmehr anhand der Themen, die wir recherchieren? Ist ein Thema nur auf Papier wichtig oder nicht ebenso aufgrund seiner ihm eigenen Relevanz auf einem Bildschirm oder einem Smartphone?

Die Antworten liegen auf der Hand: Das Thema entscheidet, nicht die Verpackung. Und damit liegt der Weg, der zu gehen ist, auf der Hand. Die Rhein-Zeitung und der Mittelrhein-Verlag werden in naher und mittlerer Zukunft weitere digitale Produkte und Angebote kreieren, die den regionalen Journalismus zeitgemäß aufbereiten und somit in die Zukunft tragen. Dabei gibt es trotz der bereits erwähnten, sich über die gesamte Branche hinweg abzeichnenden Lösungsansätze keine Blaupause. Jedes Haus muss am Ende selbst herausfinden, was zu ihm passt und was Erfolg verspricht. Deshalb wird manche Veränderung auch durchaus langsam anlaufen. Ja, auch Versuchen oder gar Stolper gehört zum Digitalzeitalter. Solange genug Ideen zünden, ist dies völlig normal.

Als wirtschaftlich und politisch unabhängiges Unternehmen wird die „Rhein-Zeitung“ alle absehbaren Veränderungen aus sich selbst heraus zu stemmen haben und stemmen können. Das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, bedeutet aber auch, dass man an manchen Stellen Dinge lässt, um andere tun zu können. Manches wird durchaus schmerzhaft sein, manches weniger. Aber immer wird es dem Pfad der notwendigen Veränderung folgen. Sture Veränderungsverweigerung Ende führt am nur aufs Abstellgleis. 

Auch das mag sich wie eine Binsenweisheit anhören, ist aber keine. Zur Verdeutlichung sei es gestattet, eine Analogie zu einer anderen, ebenso unter Transformationsdruck stehenden Branche zu bemühen: der Automobilwirtschaft. Immer mehr zuvor eingeschworene Fans bollernder Achtzylinder oder genügsamer Diesel fahren mittlerweile ein Elektroauto, gleich welcher Marke. Und noch mehr tragen sich mit dem Gedanken, dies zu tun. Deshalb nicken wir ja auch alle mit dem Kopf, wenn wir eine Schlagzeile der Sorte ,,Die deutsche Autoindustrie hat den Elektrotrend verschlafen und bekommt deshalb jetzt zu recht die Quittung“ lesen.

Noch ein Beispiel: In den Neunzigern, als Bill Gates in die Glaskugel blickte, versammelten sich die Fußballfans der Republik an Wochenende alle um das Fernsehlagerfeuer der Sportschau“ oder später dem von ,,ran“. Heute kaufen wir ohne mit der Wimper zu zucken Tagespässe oder schließen durchaus teure Abos ab, um unter anderem dann die zweite englische Liga dargeboten zu bekommen Sie ahnen, liebe Leserinnen und Leser, wohin diese Vergleiche, von denen es noch mehr gäbe, führen sollen: Die Welt ändert sich rasant. Aber bei der Zeitung darf und sollte sich am besten niemals etwas ändern? Das wird nicht funktionieren. Um das als gesichert anzunehmen, hätte es Bill Gates nicht gebraucht.

Erfolg wird in diesem Wandel haben, der nicht verleugnet, wer er immer war und weiterhin sein will. So wie in der Nachkriegszeit ein großes Bedürfnis nach Qualitätsjournalismus bestand, so sehr besteht es auch heute. Alle seriösen Umfragen belegen dies, quer durch alle Generationen. Das ist auch kein Wunder: In Zeiten von Fake News, dem lügenden Trumpismus als perfider Methode und sonstiger Formen von Propaganda ist die Demokratie gefährdeter denn je. Qualitätsjournalismus kann und wird die Demokratie nicht alleine fortbestehen lassen, aber ohne ihn würde das nochmals deutlich schwieriger. Das wissen mündige Bürgerinnen und Bürger in allen Altersstufen und schreiben deshalb den regionalen Tageszeitung regelmäßig die höchsten Vertrauenswerte zu. Und die, die das nicht tun, sind so gut wie immer einfach nur schlecht informiert oder Agenten in anderer Sache.

Was eine Tageszeitung ist und was sie in Zukunft sein muss das wird gerade neu verhandelt. Unverhandelbar ist eines: Sie ist eine gute Quelle. Man kann ihr trauen. Egal auf welchem Kanal, über dem ,,Rhein-Zeitung“ stehen wird. Und dort, wo diese Zeitung Fehler macht, steht sie zu ihnen. Das kann sie, denn sie wird von Menschen gemacht. Menschen, die erreichbar sind und sein wollen. Menschen, die wissen, dass das Umfeld, in dem sie arbeiten, sie selbst stark macht. Das ist der Wesenskern einer Zeitung zu allen Zeiten. Und nicht das eine oder andere Transportmedium für diesen jeden Tag aufs neue aufgeschriebenen, verfilmten oder gesprochenen Kemn - Journalismus aus der Region. Niemand weiß das übrigens besser als Bill Gates: Als er über Zeitungen sinnierte, vertrieb er sein Windows-System auf Disketten oder Gipfel des Fortschritts als CD-ROM. Beides ist Geschichte, Windows nicht. Weil es sich änderte. Und blieb, was es ist.
Lars Hennemann