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Die geheime Bunkerwelt im Land

Die geheime Bunkerwelt im Land

Nach dem Krieg wird Rheinland-Pfalz zum „Flugzeugträger“ der Natound auch zu ihrem Tiefkeller: Nirgendwo auf der Welt ist die Dichte an Nuklearwaffen und Bunkeranlagen höher. An die Bevölkerung wird dabei aber kaum gedacht.

23.05.24
Die geheime Bunkerwelt im Land

Im Regierungsbunker Ahrweiler gab's sogar eine Telefonzelle. Dennoch: Die Bevölkerung wäre kaum geschützt gewesen. Fotos: Jörg Diester

Es ist ein graues, zumeist nach außen trostloses wie auch schweres Erbe, das die junge Bundesrepublik in Form diverser Weltkriegsbunker übernimmt. Damit verbinden sich die Schrecken der Vergangenheit, und die Alliierten geben im Umgang mit diesen Altlasten eine klare Order: entwidmen, abreißen, sprengen. Die deutsche Verteidigungsfähigkeit soll soweit wie möglich reduziert werden, was den Zivilschutz nicht ausschließt. 

Vorbei an diesen Vorgaben entwickelt ab 1950 eine kleine Gruppe im Bonner Innenministerium geheime Pläne zum Schutz der Regierung für den Kriegsfall. Und auch, wenn die Alliierten bis 1957 aktive Bunkerbauten in Deutschland verbieten, liegen in Bonn bereits 1952 die ersten Geheimpläne für einen Regierungsbunker auf dem Tisch. Die stellen die Spitze eines Krisenmanagementplanes dar, der alle wichtigen Bundesbehörden, die Länder bis hin zu den Regierungspräsidien, Stadt- und Kreisverwaltungen einschließen soll. Verantwortlich dafür ist einer von Hitlers Generälen: Theodor Busse. Nun in Diensten der Adenauerregierung, entwickelt er ein bundesweit verbindliches Krisenmanagementsystem, das einheitliche Strukturen beteiligter Ämter, Behörden und Ministerien festlegt. Ein Plan, der auch bauliche wie staatsrechtliche Rahmenbedingungen definiert. Auffällig dabei: Bunker für die Normalbevölkerung gibt es kaum. In erster Linie geht es um Führungsaufgaben, die aus der Tiefe heraus sicher und routiniert erfüllt werden sollen. Was geübt wird. Alle zwei Jahre führt das westliche Militärbündnis Stabsrahmenübungen durch. Dann werden die unterirdischen Kommandozentralen, die normalerweise abgeschaltet sind, hochgefahren. Genau 46899 öffentliche Schutzplätze in 49 Bunkeranlagen nennt die Erhebung „ziviler Bevölkerungsschutz“ zum Ende des Kalten Krieges für Rheinland-Pfalz. Bei einer Einwohnerzahl von 3,76 Millionen Einwohnern im Jahr 1990 ergibt das ein dramatisches Zahlenspiel: Nur 1,2 Prozent der Rheinland-Pfälzer hätte im Ernstfall einen Bunkerplatz gehabt. 

Kaum Platz für die Bevölkerung

Bundesweit sieht es nicht viel besser aus. Insgesamt 2357 Schutzbauten sollen 1,8 Prozent der Bevölkerung für rund eine Woche aufnehmen. Zusätzlich werden verbunkerte, unterirdische Krankenhäuser eingerichtet – still und leise an der öffentlichen Wahrnehmung vorbei. Die Behördenschutzbauten von Bund und Land weisen für Rheinland-Pfalz etwas mehr 5000 Plätze für den „Tag X“ aus. Allein im Ahrbunker für die Regierung waren 1800 Zimmer für 3000 Menschen eingerichtet. Die Nutzfläche entsprach zwölf Fußballfeldern. Vergleichsweise „kompakt“ gestaltete sich der Regierungsbunker für die Mainzer Führung in Alzey: 56 Zimmer auf 1140 Quadratmetern für 231 Verantwortliche zum Arbeiten im Weltkriegsfall.

Im Ernstfall hätte fast niemand überlebt

Doch wen es im Ernstfall noch zu regieren und verwalten gäbe, war kein Rätsel, sondern Teil der geheimen Nato-Drehbücher: Den Totalausfall der Bevölkerung verpackte man in bürokratische Formulierungen und nüchterne Rechenmodelle. Mancherorts liegen Unterlagen dazu noch in den Schreibtischschubladen, hängen Übersichten zu Aufgaben und Kontaktstellen an feuchten Bunkerwänden.

Denn auch das ist Teil deutscher Bunker-Geschichte: Im Gegensatz zu Zivilschutzanlagen wurden die Behördenbunker im Kalten Krieg regelmäßig genutzt, oft nach der letzten Nato-Übung 1989 alles stehen- und liegengelassen.. Licht aus, Tür zu – und vergessen. 

Ab A16 gab es Doppelbock im Bunker

Ein Labyrinth aus Gängen durchzieht den Regierungsbunker Ahrweiler.
Ein Labyrinth aus Gängen durchzieht den Regierungsbunker Ahrweiler.

Erhalten wurde so auch ein bizarres Kapitel des Ost-West-Konflikts, wenn der Blick in den Busfahrplan vom 2. März 1983 noch immer verrät, wann die Reise vom Friedenssitz zum verbunkerten Ausweichquartier stattfand. Die Koblenzer Bezirksregierung wurde dafür vom Privatunternehmen SZ-Reisen nach Montabaur chauffiert, alles sehr geheim gehalten als Verschlusssache „Nur für den Dienstgebrauch“. Über das lustige Bunkerleben im Kriegsfall berichtet bis zum heutigen Tag als „Eilige Anordnung“ die Bierbewirtschaftsverordnung, streng definiert nach Gehaltsgruppen. Ab A16 gab es Doppelbock.

Einige Geisterschiffe des Kalten Krieges sind im Nirgendwo vor Anker gegangen. Andere wurden bewusst versenkt. Das Schicksal dieser Zeitzeugnisse wirft Fragen im Umgang mit Geschichte auf, für den exemplarisch der Regierungsbunker im Ahrtal steht. Dieser Superlativ nuklearer Denkmodelle und Anlaufpunkt von Spitzenpolitikern wie Helmut Schmidt oder Ludwig Erhard, wurde per Definition des Bundeskanzleramtes als „Ort ohne Bedeutung für die deutsche Geschichte“ ab 2001 entsorgt. Abgerissen und geschreddert, „entkernt“, ging ein Originalschauplatz der deutschen Vergangenheit verloren, der sogar im wiedervereinten Land noch bis 1997 eine wichtige Rolle spielte. 

Bunker spielten nach der Wende keine Rolle mehr

Da waren die Ausweichsitze der Landesregierungen und nachgelagerter Verwaltungen längst aufgegeben. Schon 1992 hatte das Bonner Innenministerium den weiteren Umgang damit freigestellt. Und auch die bundesweit 2357 Zivilschutzanlagen spielten per Innenministerentscheid auf Bund-Länder-Ebene ab 2009 keine Rolle mehr in der Krisenprävention. Der Grund war simpel: militärische Konflikte waren längst aus dem Katalog ernstzunehmender Bedrohungslagen gestrichen worden. Und vor Terroranschlägen, Cyberattacken, Extremwettern oder Pandemien schütze nun mal ein Bunker nicht.

Dass der Bund anschließend im Akkord die ausrangierten Atomschutzbunker verkaufte und entwidmete, blieb weitestgehend unbemerkt. So ergab 2019 eine Anfrage im Bundestag einen Restbestand von 931 Bunkern mit Zivilschutzbindung, davon 120 im Bundesbesitz. Der Großteil lag in kommunaler oder privater Hand. Und der Bund konnte sich gar nicht schnell genug von seiner Bunkeraltlast befreien. Rein rechnerisch ging jede Woche ein Schutzbau über die Ladentheke der Bundesimmobilienmakler. Inzwischen sind die Bücher zugeschlagen, alle Bundesbunker sind veräußert.

Bund macht mit Bunkern Kasse

Ein Argument für die intensiven Verkaufsbemühungen waren die angeblich hohen Unterhaltskosten. Dazu informierte das Bundesinnenministerium 2019: 187000 Euro Bewirtschaftung und 479000 Euro für Instandhaltung und Bauunterhalt. Macht bei 931 Objekten 715,35 Euro je Bunker pro Jahr. Überraschend wenig bei einer Kapazität von rund einer Million Plätzen.

Richtig verrückt wird es aber beim Blick auf die Einnahmen aus Bunkerbesitz. Pacht und Mieten spülten dem Bund jährlich 2,8 Millionen Euro in die Kasse. Die Vorhaltung von zivilen oder militärischen Schutzbauwerken war also kein Zuschussgeschäft, sondern erwirtschaftete Jahr für Jahr Gewinne. Was niemanden veranlasste, den weiteren Verkauf zu stoppen. So gingen millionenschwere und bis zuletzt modernisierte Objekte wie der ehemalige Nato-Kommandobunker „Erwin“ in Börfink (Hunsrück) für 1 Euro weg. 

Cyberbunker geriet in die Schlagzeilen

Nur selten wurde die Verkaufspraxis publik, so im Fall des Bundeswehrbunkers „Trabant“ in Traben-Trarbach. Durch die Trierer Zweigstelle der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben 2013 als erfolgreiche, private Anschlussnutzung gefeiert, machte der „Cyberbunker“ wenig später Schlagzeilen als Internetumschlagplatz von Drogen, Waffen oder Kinderpornografie.

Angesichts der aktuellen Sicherheitslage holen Fehlentwicklungen des nationalen Schutzraumkonzepts die politisch Verantwortlichen nun ein. In Sorge, dass sich das 1500 Kilometer entfernte Kriegsgeschehen in der Ukraine nach Westen verlagert, ließ der Bund 2022 nach Bunkerreserven suchen. Das Ergebnis fiel mit 599 noch existierenden Objekten ernüchternd aus, zumal die Zahl nichts über die Einsatzbereitschaft aussagte. 

Deutschland steht vor einem Bunkerdilemma

Genaue Adressen oder Belegungspläne? Gibt es nicht. Auf der Suche danach nutzen besorgte Bürger das Internet – und googeln. Auf den ersten Plätzen der Trefferlisten werden Museen und Dokumentationsstätten in ehemaligen Atomschutzbunkern geführt, die nach dem kompletten, behördlichen Rückzug privat oder durch Vereine betrieben werden. 

Deutschland und sein Bunker-Dilemma: Selbst wenn man das mit Hochdruck beheben wollte, lässt sich baulicher Schutz auf die Schnelle und kostengünstig nicht realisieren. Wer Schutzräume als Teil des Zivilschutzkonzeptes definiert, wird an Neubauten nicht vorbeikommen. Was bei 83 Millionen Bundesbürgern Zeit und Geld voraussetzt.

Der Bund selbst veranschlagt pro Bunkerplatz 10000 Euro, in der Summe also rund 800 Milliarden Euro. Wenn man jetzt sofort loslegt und im Eiltempo Bunker baut, könnte man in 25 bis 30 Jahren allen Einwohnern eine Unterbringung anbieten. Jörg Diester