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Wie geht nachhaltige Mobilität?

Zukunftsforscher plädiert für mehr Verursachergerechtigkeit

03.10.22
Wie geht nachhaltige Mobilität?

Gehört der E-Mobilität die Zukunft?

Die fetten Jahre scheinen vorbei zu sein. In vielen Ländern dieser Erde geht der Trend hin zu mehr Nachhaltigkeit, klimafreundlicher Technologie – und einem minimalistischen Lebensstil. Mit Blick auf die in Paris festgelegten Klimaziele sowie drohende Ressourcenknappheiten wächst auch der Druck auf die Mobilitätsbranche zusehends. Darüber hat unsere Zeitung mit Mobilitätsforscher Professor Dr. Thomas Sauter-Servaes gesprochen. An der ZHAW School of Engineering leitet Sauter-Servaes den Studiengang Verkehrssysteme. Die Einrichtung in Winterthur ist eine der führenden Bildungs- und Forschungsinstitutionen in der Schweiz. Es folgt das Interview im Wortlaut.Warum muss die Verkehrswende dringend her, warum muss schnellstens ein anderes Mobilitätskonzept erarbeitet werden?Der Verkehrsbereich ist der einzige Sektor, der es bislang nicht geschafft hat, seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Da der Verkehr zugleich einer der bedeutendsten CO2-Emittenten überhaupt ist, braucht es schnell einen realistischen Plan für eine enkeltaugliche Mobilität der Zukunft.

Wie definieren Sie nachhaltige Mobilität?

Die Zielvision muss eine Welt sein, in der wir alle uns so bewegen, dass wir die Klimakrise nicht weiter verschärfen und ein lebensfreundliches Umfeld für alle schaffen. Es wäre weltfremd anzunehmen, dies morgen umzusetzen. Viele Menschen haben Wohnund Berufsentscheidungen auf der Basis billigen Öls getroffen. Sie brauchen eine faire Planungssicherheit. Aber wir müssen jetzt umdenken und umlenken, um zukünftige Entscheidungen zu beeinflussen.

Wird die Klimakrise dazu führen, dass Regierungen künftig härter durchgreifen, den Bürgern mehr verbieten müssen?

Allein nachhaltigere Mobilitätsangebote zu kreieren und zu hoffen, dass die Bürger schon umsteigen werden, halte ich angesichts der bisherigen Erfahrungen für einen ziemlich naiven Ansatz. Derzeit existiert kein fairer Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern, weil die externen Kosten wie Lärm, Flächenverbrauch und Treibhausgasemissionen nur unzureichend eingepreist sind. Damit werden falsche Anreize gesetzt. Es wird definitiv zusätzliche staatliche Rahmensetzungen brauchen, damit nicht nur die Fraktion der ohnehin Willigen umdenkt, sondern Alternativen zum privaten Besitzauto tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Ansonsten wird das private Auto als Hauptursache heutiger Verkehrsprobleme keinesfalls hinterfragt. Der essenzielle Hebel ist dabei, eine größere Kostenwahrheit (Anm. d. Red.: Verursachergerechtigkeit) im Verkehr zu schaffen.

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Wird künftig die Mehrzahl der Bürger noch ein eigenes Auto haben?

Auf dem Land eher ja, in der Stadt sicherlich nein. Insgesamt wird der Trend in die Richtung gehen, Autos effizienter zu nutzen. Aktuell sehen wir beispielsweise Versuche, Autos in kleineren Gruppen einfach teilbar zu machen – also eine Mischung aus Besitzauto und dem klassischen Carsharing. Sicherlich lieben die Menschen ihre Autos. Als studierter Maschinenbauer kann ich diese Faszination sehr gut nachvollziehen. Das private Auto ist ein maximaler Komplexitätsreduzierer, ein Unimog für alle Lebenslagen. Gleichzeitig führt dessen überbordende Nutzung aber gerade in urbanen Räumen dazu, dass wir viel Lebensqualität verlieren.

Besonders um Koblenz herumgibt es viel Grün, die Menschen brauchen das Auto ...

Der ländliche Raum ist mit Sicherheit die größte Herausforderung für uns Verkehrsplaner. Um hier schnell Fortschritte im Hinblick auf die Klimakrise zu erzielen, muss die Elektrifizierung des Autoverkehrs zunächst im Vordergrund stehen. Attraktivere Modelle des öffentlichen Verkehrs werden hier wohl erst mit dem Einsatz automatisch fahrender Minibussysteme eine substanzielle Wirkung erzielen. In diesem Einsatzgebiet könnten geteilte selbstfahrende Fahrzeuge tatsächlich einen Mehrwert bieten. Gerade hier ist der Einsatz aber technisch besonders anspruchsvoll.

Werden E-Autos in ein paar Dekaden sämtliche traditionellen, fossil betriebenen Autos abgelöst haben?

Ja, der mit fossiler Energie betriebene Verbrennungsmotor ist ein anachronistisches Auslaufmodell. Die Zukunft gehört der Elektromobilität, doch diese Antriebswende ist nicht ausreichend, um unsere Klima- und Stauprobleme zu lösen. Wir werden auch verstärkt auf kleinere Mobile wie das E-Bike oder kollektiv genutzte Verkehre wie den E-Bus umsteigen müssen. Anders werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen, weil bereits die Herstellung eines Autos enorme Ressourcen verschlingt.

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Thomas Sauter-Servaes wuchs in Berlin auf und hat dort an der TU im Bereich Verkehrswesen promoviert. Foto: Vanessa Püntener

Wie werden Menschen in der Stadt, ferner Menschen auf dem Land in 25 bis 50 Jahren von A nach B kommen?

Ich bin davon überzeugt, dass sich die zukünftige Mobilität auf dem Land deutlich von der in der Stadt unterscheiden wird. Größere Städte werden private Personenwagen weitgehend aus dem Straßenraum verbannen. Diese Entwicklung zeichnet sich schon heute in Paris oder Barcelona ab. Innerstädtisch werden öffentliche Verkehrsangebote, Fußgänger sowie Fahrräder und andere Mikromobile den Verkehr dominieren. Nur so können wir vor dem Hintergrund des Klimawandels in unseren hoch verdichteten Städten noch attraktive Lebensbedingungen anbieten. Andernfalls werden diese zu gesundheitsschädlichen Hitzeinseln. Auf dem Land sehe ich dagegen weiterhin Bedarf für den motorisierten Individualverkehr, allerdings wird dieser dann ausschließlich elektrisch angetrieben sein. Kleinere Fahrzeuge könnten im Agglomerationsraum um die Städte an Bedeutung gewinnen, weil sich die Fahrzeugkosten viel stärker am Platz- und Energieaufwand orientieren. Heute werden viele Fahrten im Entfernungsbereich bis fünf Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Auf diesen Distanzen werden zukünftig E-Bikes und andere Kleinstmobile eine größere Rolle spielen.

Spannend wird sein, ob unsere Mobilitätskultur in der zweiten Jahrhunderthälfte tatsächlich durch die Robotisierung und damit selbstfahrende Fahrzeuge komplett verändert wird. Die Technik entwickelt sich rasant, verheißt, eine verblüffende Antwort zu werden. Aber auf welche Fragestellung? Wenn wir nicht aufpassen, lassen wir uns von Hochglanzbildern zu einer Zukunft verführen, in der wir eigentlich gar nicht leben wollen: einer weiterhin autoabhängigen Lebensweise mit noch mehr und längeren Wegen und weniger Aufenthaltsqualität in den Städten.

Welche Technologien und Konzepte erarbeiten Experten bereits, von denen die Öffentlichkeit noch gar nichts ahnt?

Wir wissen bereits sehr genau, welche Maßnahmen es für eine zukunftsfähige Verkehrsgestaltung braucht. Eine Zusammenstellung einfacher, insbesondere in vielen kleineren Gemeinden umsetzbarer Bausteine für eine nachhaltigere Mobilität findet sich beispielsweise unter www.schrittmacher.in

Auch die Technologie dafür ist größtenteils vorhanden. Wir haben kein Erkenntnis- und kein Technologieproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Insofern stellt sich vielmehr die Frage, wie schnell wir die notwendige Akzeptanz für diese neue Mobilitätskultur schaffen. Dabei hoffe ich, dass Vordenkerstädte wie Paris, Utrecht oder Kopenhagen mit ihren Transformationserfolgen eine Art Eisbrecherfunktion haben werden, in deren Kielwasser andere Städte und Gemeinden erprobte Lösungen aufgreifen werden.

Welche Rolle kann das Homeoffice mit Blick auf Zukunftsmobilität spielen? Während Corona funktionierte das ja bereits.

Die Pendlermobilität hat bei vielen von uns einen großen Anteil an den täglich zurückgelegten Distanzen. Die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten kann helfen, diese Verkehre zu reduzieren und insbesondere die Kapazitätsnachfrage in den Spitzenstunden am Morgen und Abend zu reduzieren. Genau auf diese Nachfragespitzen müssen wir derzeit beispielsweise unsere ÖPNV-Systeme, also Infrastrukturen und Fahrzeugflotten auslegen, was ineffizient ist und diese Verkehre teurer als nötig macht. Homeoffice als Wundermittel für die Verkehrswende zu betrachten, geht aber sicher zu weit. Nur Teile der Bevölkerung können dies überhaupt wahrnehmen, und diese nutzen die gewonnene Zeit nicht selten, um zusätzliche Fahrten in der Freizeit zu unternehmen.

Wichtig ist der Blick auf das Gesamtsystem und diesen nicht zu verlieren. Ich habe für große und kleine Akteure aller Verkehrsmittel bereits gearbeitet, kenne politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und bin weit davon entfernt zu proklamieren, die Zukunft und das Allheilmittel zu kennen. Ohne diese Demut und einen realpolitischen Ansatz werden wir bei aller Dringlichkeit keine nachhaltigere Mobilitätskultur auf den Weg bringen.

Das Gespräch führte Johannes Mario Löhr

Mit E-Carsharing in die Zukunft

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Dieses E-Auto ist vor der VG-Verwaltung Nastätten stationiert. Foto: Egom

2016 hat sich in Strüth im Rhein-Lahn-Kreis die Energiegenossenschaft Oberes Mühlbachtal, kurz Egom, gegründet. Waren es zu Beginn zehn Gründungsmitglieder, so sind es heute 180 Genossenschaftsmitglieder, die allesamt ihren Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien leisten wollen. Ein Betätigungsfeld der Egom ist das E-Carsharing im ländlichen Raum. Derzeit hat die Genossenschaft einen Pool von vier Fahrzeugen. Drei davon sind in der Verbandsgemeinde (VG) Nastätten im Taunus stationiert, eines steht im benachbarten hessischen Rheingau-Taunus-Kreis. „Wir könnten noch zwei, drei mehr unterbringen“, sagt Klaus Steinbeck, kaufmännischer Vorstand der Egom. Doch die aktuelle Marktlage lasse das nicht zu. Bis vor Kurzem habe der anvisierte Hersteller keine Bestellungen für neue E-Fahrzeuge entgegengenommen.

Das E-Carsharing habe derzeit 20 bis 25 regelmäßige Nutzer. Einer davon ist die VG-Verwaltung Nastätten, die das Angebot mit mehreren Mitarbeitern nutzt. In Hessen greife die Sozialstation in Laufenselden auf das Carsharing zurück. Eine homogene Gruppe seien die Carsharing-Kunden nicht: „Das ist bunt gemischt“, sagt Steinbeck, „das sind junge alleinstehende Menschen, aber genauso Familien.“ Ein bis zwei neue Kunden kämen derzeit pro Monat hinzu. Ein Aufwind nach der Corona-Flaute. Das Jahr 2020 sowie Teile von 2021 „waren eine Katastrophe für die Carsharing-Branche“, betont Steinbeck. „Da haben wir auch Minus gemacht.“ Doch Mitglieder hätten das Defizit über Spenden ausgeglichen.

Im ländlichen Raum, so Steinbeck, brauche man weiter ein Auto. Doch die Egom wirbt dafür, zumindest auf ein Zweitauto zu verzichten – und sich stattdessen fürs E-Carsharing zu entscheiden. „Teilen ist das Neue, das wir brauchen“, ist Steinbeck überzeugt. Unter den Fahrern der Egomobile, wie die Genossenschaft ihre Autos nennt, seien auch welche, die selbst gar kein Auto mehr hätten. Solche intensiven Nutzer sorgten dafür, dass die Autos sich rechnen. Finanziert wurden die E-Autos aus Mitgliederdarlehen und staatlichen Fördergeldern. Die Darlehen, so Steinbeck, seien schon fast wieder zurückgezahlt.

Nutzer, die sich für das E-Carsharing registriert haben, zahlen einen monatlichen Grundbetrag – unterschieden wird zwischen Basis- und Premiumtarif. Zusätzlich fließen auch die Nutzungsdauer sowie die gefahrenen Kilometer in den Preis mit ein. Wer sich registriert hat, kann eine Buchungsapp nutzen, über die sich das E-Auto bei der Abholung auch öffnen lässt. „Wir freuen uns über neue Kunden“, betont Steinbeck. Infos gibt es im Internet unter www.egom.de Cordula Sailer