Anzeige
Malermeister Andreas Hess aus Siershahn kämpft sich ins Leben zurück

Malermeister Andreas Hess aus Siershahn kämpft sich ins Leben zurück

Mit einem Schlag war alles anders

18.12.21
Malermeister Andreas Hess aus Siershahn kämpft sich ins Leben zurück

„Eine Familie, die zusammensteht.“ Foto: Katharina Nix

Andreas Hess kann sich noch gut an den Tag erinnern, der sein Leben schlagartig veränderte. Es ist der 19. März 2017. Ein Sonntag. Der Tag ist ihm heilig, weil er ihn normalerweise nach der Hektik einer anstrengenden Arbeitswoche in aller Ruhe und ganz gemütlich mit seiner kleinen Familie verbringt. Er bereitet mit seinem Sohn Sammy (damals sieben Jahre alt) in der Küche heißen Kakao und Cappuccino für sich und seine Frau Alexandra zu, um ihn anschließend im Bett zu genießen. Doch es kommt ganz anders.

Andreas Hess nimmt einen Schluck Kaffee, verschluckt sich vermeintlich. Das heiße Getränk schießt aus seinem Mund. Seine Ehefrau erkennt den Ernst der Lage binnen Sekunden und bittet ihren Sohn, sich auf den Vater zu legen „Sammy, halt‘ bitte den Papa fest. Es ist etwas Schlimmes passiert!“ Der Junge kommt der Bitte nach, sie ruft den Krankenwagen. Der Notarzt erreicht das Haus innerhalb fünf Minuten und bringt den 48-Jährigen in die Stroke Unit des Krankenhauses nach Selters. Andreas Hess erleidet am nächsten Tag einen zweiten Schlaganfall. Drei Wochen wird er zunächst auf der Intensivstation und dann auf der Normalstation verbringen. Der Malermeister will die Situation zuerst nicht wahrhaben. Er ist ein Baum von einem Mann. „Unkaputtbar“, wie er selber sagt. Doch der Schlaganfall hat seine rechte Hirnhälfte getroffen, seine Motorik auf der linken Seite ist stark eingeschränkt. Nach dem Krankenhausaufenthalt kommt Andreas Hess in die Früh-Reha nach Vallendar. Von August bis Dezember 2018 wird sich eine Spät-Reha in Bad Camberg anschließen.

Es beginnt der Weg zurück ins Leben. Mutig kämpft er, Schritt für Schritt, für seine Familie, für seine Mitarbeiter. „Wir sind offen und ehrlich, fast offensiv mit der Sache umgegangen“. Gerade in der größten Not nach vorne zu gehen, nicht aufzugeben, zeichnet das Ehepaar aus. Was für viele unglaublich klingen mag: ganz bewusst suchen sie in dieser schweren Zeit neue Mitarbeiter für die Malerwerkstatt. „Wenn die Jungs hinter uns stehen, dann mach’ bitte weiter“, antwortet er seiner Frau auf ihre Frage, was mit der Firma passieren soll. Wieder bei null anfangen, alles neu lernen, sprechen, gehen, laufen. Trinken ging anfangs nur mit dem Strohhalm, bewegen nur im Rollstuhl. Ein halbes Jahr wird vergehen bis er ihn wieder zur Seite stellen kann. „Ich erinnere mich an meine ersten Schritte alleine, fast 30 Meter bin ich gegangen, das war unglaublich.“

Zurück zu Hause, fiel nicht nur er in ein tiefes Loch. Auch das darf ruhig gesagt und geschrieben werden, findet die starke Frau an der Seite von Andreas Hess: „Sämtliche Anspannung löste sich. „Man darf Trauer und Weinen zulassen. Das befreit und schweißt noch enger zusammen.“ Zu der an sich schon schwierigen Lage gesellen sich Verzweiflung, ein Wust an Anträgen, Menschen im nahen Umfeld, die sich zurückziehen, weil sie mit der Situation nicht klarkommen.

Zur Kirmes in Siershahn im August 2017 war Andreas Hess das erste Mal wieder auf einer Veranstaltung im Ort. „Gottseidank bist du der Alte geblieben. Alles andere schaffen wir irgendwie,“ denkt seine Frau, als er bereits in Selters einen Witz machte. Den Humor hat er nicht verloren.

Im Mai 2018 feierte er nicht nur seinen 50. Geburtstag, sondern auch den Beginn des zweiten Lebens. Es folgte ein erster Urlaub, mit Freunden per Auto nach Kroatien. Das neue, andere Leben nahm seinen Lauf. Andreas Hess hat lernen müssen, dass es auch anders gehen kann. Dazu gehöre auch, Hilfe anzunehmen. „Nicht zu viel und nicht zu wenig“, sagt Alexandra Hess mit zärtlichem Blick auf ihren Ehemann, der für sich eine neue Erkenntnis gewonnen hat: „Ich brauche die Arbeit zum Leben. Zum Überleben aber brauche ich meine Frau und meinen Sohn.“

Ja, er habe sich verändert. Er sei ein starker Mensch, bescheinigt ihm auch Alexandra. Das Aufbrausende ist weg. „Ich habe Frieden mit mir geschlossen. Und sehe und erkenne die Wertigkeit meines Ich, meiner Person. Die Frage nach dem Warum stelle ich mir nicht mehr. Darauf gibt es keine Antwort.“ Das erste Leben: Mit Vollgas auf der Überholspur. Er hat es nicht anders erlebt, als mittlerweile fünfte Generation eines Familienunternehmens.

„Das Tempo und Arbeitspensum waren vollkommen normal für mich.“ Andreas Hess hat ganz klein wieder angefangen, aber er hat ins Leben zurückgefunden. Sein Tagesablauf ist geprägt von täglicher Therapie, seiner Firma und Pausen mit der Familie. Er ist zurück im Betrieb. Jeden Tag ein bisschen mehr. Dafür ist er dankbar und auch für die Menschen, die näher heranrückten und halfen, die enge Familie und Freunde.“

Die Quintessenz, die Andreas Hess für sich gezogen hat: „Suche nicht nach dem Sinn des Lebens. Gib deinem Leben einen Sinn.“ (Doris Kohlhas)