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Hessen und Rheinland-Pfalz 

Geschichtliche Historie seit den Römern

26.05.22
Hessen und Rheinland-Pfalz 

Die Theodor-Heuß-Brücke verbindet Mainz mit Wiesbaden - und damit Rheinland-Pfalz und Hessen. Den Beziehungsstatus der beiden Länder kann man als kompliziert bezeichnen, natürlich mit Augenzwinkern. Foto: Stephan Dinges

Hessen und Rheinland-Pfalz – wären die beiden Bundesländer miteinander verbandelte Protagonisten in sozialen Netzwerken, dann stünde wohl in beider Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert.“ Schnell und einfach lässt sich die Frage, wie die Hessen auf ihre Nachbarn blicken, jedenfalls nicht beantworten.

Der wichtigste Befund gehört dennoch an den Anfang der Bestandsaufnahme: Man ist tatsächlich Nachbar. Quer durch den Taunus, an den Hängen des Westerwaldes, an der Lahn und – vor allem – an 106 Rheinkilometern von Lampertheim bis Lorchhausen. Von der Bergstraße bis ins gemeinsame Welterbe des Mittelrheintals haben die Hessen also Gelegenheit und Anlass, auf die andere Seite des Flusses zu schauen. Und nicht immer macht man es ihnen dabei leicht: Die karnevalistischen Witze in der fünften Jahreszeit, die insbesondere zwischen den gegenüberliegenden Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden hin und her fliegen, verlangen den Hessen in aller Regel ziemliche Nehmerqualitäten ab. Wie auch der vor allem von älteren Semestern noch beklagte Umstand, dass der Wiesbadener an sich so etwas wie ein Kriegsgewinnler sei. Habe er doch nach 1945 nicht davor zurückgeschreckt, sich mit kräftiger amerikanischer Unterstützung die rechtsrheinischen Mainzer Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim einzuverleiben.

Dergestalt herausgefordert, verwies der Hesse gern auf die überlegene Wirtschaftskraft seines Bundeslandes (und blendete dabei großzügig aus, dass vor allem der Frankfurter Flughafen als Herz des so finanzstarken Rhein-Main-Gebietes auch nicht unbedingt zwangsläufig dort hätte entstehen müssen, wo er heute liegt).

Auf der linken Rheinseite, so ein gern kolportiertes Vorurteil, habe man es jedenfalls im wesentlichen mit Reben und Rüben zu tun. Und um bei den Reben noch eins draufzusetzen, prostete man sich bei der Selbstvergewisserung gern mit den edlen Rheingauer Rieslingen zu und rümpfte die Nase über die „sieße Brieh“ von der „eebsch Seit“. Dieses wenig schmeichelhafte Zeugnis galt lange vor allem den rheinhessischen Tropfen, die in Sichtweite des Rheingaus im Mainzer Hinterland wuchsen. Mosel, Nahe und Ahr lagen für derlei derbe Abgrenzungsversuche schon zu weit außer Sichtweite … Als dann ab den Neunzigern das bis heute nicht enden wollende rheinhessiche Weinwunder seinen Anfang nahm, mussten sich die Hessen ein neues Distinktionsmerkmal suchen. Sie fanden es bis vor Kurzem im Länderfinanzausgleich. Hessen gehörte mit Bayern, Hamburg und Baden-Württemberg seit eh und je dem vornehmen Klub der Geberländer an, wohingegen die weltumarmenden Nachbarn zwar ordentlich feiern konnten, aber dazu eben nicht wenig Geld von der anderen Rheinseite bekamen. Man blickte also über den Fluss hinüber wie ins Haus eines verarmten Verwandten, dessen Lebensstil man mit mehr als nur leicht hoch gezogener Augenbraue in den Satz goss: „Das, was du hier auffährst, kannst du dir nur dank unserer freundlichen milden Gaben überhaupt leisten.“

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„Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne sie auszusprechen – des is 'ne Kunst.“

Frank Lehmann, hessische Ikone und langjähriger Börsenjournalist der ARD

So weit das Talent der Hessen, das die Rheinland-Pfälzer eher nicht haben.

Allein, auch diese scheinbar eherne Gewissheit ist seit den Biontech-Milliarden erst einmal vorbei. Die Impfstoffschmiede sorgt von Mainz und Idar-Oberstein aus dafür, dass auch in bilanztechnischer Hinsicht jetzt so etwas wie Augenhöhe zwischen den beiden Ländern herrscht. Im Leben vieler Menschen ist sie ohnehin Realität. Hunderttausende Pendler haben überhaupt kein Problem damit, täglich die Seite zu wechseln. Arbeiten in Frankfurt, leben in Mainz? Klappt ebenso gut wie die Fahrt aus dem Ried zur BASF nach Ludwigshafen oder von Wiesbaden zu Boehringer nach Ingelheim. Die Universitäten kooperieren heute schon auf vielfältige Weise wie zahlreiche Verbände und Institutionen, und, auch wenn das niemand hören will: Ein gefühltes Viertel der Autos, deren Fahrer ins Bundesligastadion von Mainz 05 pendeln, hat hessische Nummernschilder. Überhaupt fühlt der eine oder andere Hesse, wenn er ganz ehrlich zu sich selbst ist, immer wieder einen ziemlich starken Drang nach Rheinland-Pfalz. Vor allem touristisch geht der Vergleich mitunter ziemlich eindeutig aus. Nicht nur in der Pfalz weiß man das schon lange, sondern auch in Koblenz, in Trier oder entlang der herrlichen Premium-Wanderwege in den Mittelgebirgen und Flusstälern. Nur wenn er auf dem Weg dorthin die sechsspurig ausgebaute Schiersteiner Brücke befährt und an deren (vorläufigem?) Ende bei Mombach in einem grotesk in sich verschraubten Nadelöhr auf Tempo 40 heruntergebremst wird, ist der Hesse wieder ganz bei sich und denkt: Ein bisschen von unserer Effizienz täte hier in diesem Rheinland-Pfalz wohl immer noch not.

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Aber je weiter er dann ins Landesinnere fährt, desto schneller verschwinden solche Chauvinismen wieder aus dem Blickfeld, und er denkt sich: Eigentlich sind es ja die (lebens-)lustigsten und liebenswertesten Nachbarn, die man haben kann. Man muss es sie ja lediglich nicht zu oft so deutlich wissen lassen. Frank Lehmann, langjähriger Börsenjournalist der ARD und hessische Ikone, hat es einmal so formuliert: „Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne sie auszusprechen – des is 'ne Kunst.“ Und die beherrschen die Rechtsrheiner nach wie vor eindeutig besser als ihre rheinland-pfälzischen Nachbarn. Vielleicht ergänzen sie sich ja deshalb seit 75 Jahren so gut. Denn am Ende sind die beiden Länder sich in einem zentralen Punkt absolut gleich: Sie sind Kunstprodukte der Nachkriegszeit, die erst durch ihre Menschen zu dem gemacht werden, was sie sind. Da wie dort. Lars Hennemann