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Terror im Kopf

Leben mit Migräne

24.09.22
Terror im Kopf

Die Beschreibung „anfallsartig auftretender, typischerweise halbseitiger Kopfschmerz“ beschreibt nicht annähernd das, was Migräniker erleben, wenn es „mal wieder losgeht“. Migräne begleitet die Menschen schon sehr lange und auch wenn Forschungen in der jüngeren Vergangenheit die Vermutung nahelegen, dass Stress, Umweltfaktoren und bestimmte Lebensmittel Auslöser sein können, ist der Ursprung des Namens „Migräne“ im Altgriechischen zu suchen und beweist, wie lange diese Krankheit die Menschen schon belastet.

Frauen sind von dieser Erkrankung weit häufiger betroffen als Männer und schon im Kindesalter können die Symptome beginnen. Wenn man sich die Häufigkeit ansieht, mit der Migräne bereits im Kindesalter auftritt (bis zu 80 Prozent der Kinder im letzten Grundschuljahr klagen über Kopfschmerzen und 12 Prozent von ihnen leiden unter Symptomen, die auf eine Migräne hinweisen), kann man sich vorstellen, dass diese Erkrankung auch volkswirtschaftlich enorme Auswirkungen hat. Aus den Anfängen im Kindesalter werden im Lauf der Zeit Erkrankte, deren Behandlung jährlich mit etwa 500 Millionen Euro zu Buche schlägt. Vom Leiden der Betroffenen gar nicht zu sprechen.

Was geschieht bei einem Migräneanfall?

Lange hat man nicht gewusst, was genau passiert, wenn Menschen unter Migräne leiden. Auch heute noch ist der genaue Mechanismus nicht abschließend geklärt, es gibt aber mittlerweile einige Hypothesen, die sich gegenseitig ergänzen und so ein Bild der Geschehnisse zeichnen.

Der vaskulären Hypothese liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Blutgefäße des Kopfes während eines Migräneanfalls erweitert sind. In den Wänden dieser Blutgefäße liegen die Nervenenden des Trigeminusnervs, der bei der Dehnung der Gefäße aktiviert wird. Darüber hinaus wird die Großhirnrinde für das Schmerzempfinden verantwortlich gemacht.

Die Übererregbarkeitshypothese basiert auf der Annahme, dass bei Betroffenen die Hirnrinde des Hinterhauptlappens eine erhöhte Erregbarkeit aufweist. Dies führt zu einer Freisetzung von Kaliumionen und einem chemischen Ungleichgewicht, dass dann letztlich die Migräne auslöst.

Die Hypothese der neurogenen Entzündung entstand durch die Beobachtung, dass während eines Migräneanfalls Botenstoffe freigesetzt werden, die eine Entzündung anzeigen. Sie bewirken eine Erweiterung der Blutgefäße und eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände, was zu Mikroödemen führt.

Eine Kombination dieser drei Hypothesen wird heute allgemein als Ursache angenommen. Hinzu kommt eine genetische Disposition, welche sich signifikant erhöht, wenn mehrere Vorfahren einer Person an Migräne erkrankt waren oder sind.

Der Anfall

Ein Migräneanfall besteht in der Regel aus mehreren Phasen. Bei etwa 30 Prozent der Erkrankten kündigt sich ein Anfall mit psychischen, neurologischen und vegetativen Symptomen an. Müdigkeit, Geräuschempfindlichkeit oder Verstopfung warnen vor einer Attacke. Bei 15-20 Prozent der von Migräne betroffenen Menschen folgt eine Auraphase, die mit unterschiedlichen Störungen einhergehen kann. So kann es zu Problemen beim Sehen kommen, Kribbeln an Armen, Beinen und im Gesicht, oder aber auch Störungen des Geruchsempfindens, Gleichgewichtsstörungen bis hin zu Sprachstörungen und neurologischen Ausfällen.

Die Auraphase dauert selten länger als 60 Minuten und wird von jedem Betroffenen anders empfunden, bei einigen Patienten haben die starken visuellen Störungen als Grundlage ihrer Kreativität gedient oder wurden als religiöse Erlebnisse gedeutet. So nimmt man heute an, dass die Visionen der Hildegard von Bingen auf eine Migräne mit Aura zurückzuführen sind.

Nach der Auraphase folgt die Kopfschmerzphase, die beim Großteil der Patienten halbseitig auftritt. Körperliche Betätigung verstärkt die Schmerzen, die daneben auch noch Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Lichtempfindlichkeit auslösen. Dunkelheit und Ruhe verbessert die Symptomatik zumeist. Die Dauer eines Migräneanfalls ist unterschiedlich, von einer Stunde bis zu mehreren Tagen können die Schmerzen andauern.

Inzwischen ist bekannt, dass Migräne stark von sogenannten Triggern abhängig ist. Diese im Einzelfall zu erkennen, gibt die Möglichkeit, Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung zu nehmen. Ob es dabei um bestimmte Lebensmittel oder um zu wenig oder zu viel Schlaf geht, ob es Alkohol oder andere Faktoren sind, ist von Patient zu Patient verschieden. Therapieansätze gibt es viele, sie sind von der Schwere der Erkrankung und der Reaktion auf bestimmte Therapien abhängig.

So gelten neben reinen akuten Schmerzbehandlung mit nichtopioidhaltigen Analgetika (wie Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen) spezifische Migränetherapeutika als Mittel der Wahl. Hier spielen seit den 1990er Jahren Triptane eine Rolle, da ihre Kontraindikationen, also die Fälle, in denen sie nicht eingesetzt werden dürfen, recht umfangreich sind, stellen sie keine „Allheil-Therapieoption“ dar. Opioide werden selten bei der Behandlung eingesetzt, weil sie nur begrenzt wirksam sind. Eine Studie aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass Cannabisextrakt bestehend aus THC und CBD die Schmerzintensität um die Hälfte senken konnte.

Prophylaxe

Heilen kann man eine Migräne nicht, man kann aber lernen, mit ihr zu Leben. Treten Anfälle häufiger als drei Mal im Monat und dann für längere Zeit, sodass die Lebensqualität stark eingeschränkt ist auf, kann man mit verschiedenen Medikamenten versuchen, die Anfälle zu reduzieren oder sogar zu verhindern. Hier spielen Betablocker eine große Rolle, die aufgrund der Hemmung von bestimmten Rezeptoren im Zentralnervensystem als Nebeneffekt Migräneanfälle verhindern.

Sie können nur eingesetzt werden, wenn die Patienten gleichzeitig an Bluthochdruck leiden. Ist dies nicht der Fall, sind Antiepileptika zuverlässige Medikamente, um Migräneanfälle zu verhindern. Auch dem Antidepressivum Amitriptylin wird eine migränehemmende Wirkung zugeschrieben.

Viele Betroffene kombinieren ein Verhalten, das auslösende Faktoren wie bestimmte Lebens- oder Genussmittel, Stress und zu wenig oder zu viel Schlaf vermeidet mit weiteren prophylaktischen Ansätzen wie progressiver Muskelentspannung, Yoga und autogenem Training. Wenn der Anfall dann kommt, helfen Ruhe, Dunkelheit und schmerzstillende Medikamente, um die Schmerzphase zu überstehen. J.S.