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Wenn der Geist vor dem Körper geht

Wenn der Geist vor dem Körper geht

Alzheimer kann in jedem Lebensabschnitt auftreten

28.03.21
Wenn der Geist vor dem Körper geht

Foto: freshidea - stock.adobe.com

Bei Margitt P. begann es, wie in unzähligen anderen Fällen auch, unauffällig. Die erfolgreiche Geschäftsfrau Mitte 50 war noch einmal beruflich durchgestartet und hatte sich mit einem kleinen Laden selbstständig gemacht. Mittlerweile, nach nunmehr fünf Jahren, war ihr Unternehmen auf drei Läden angewachsen und beschäftigte zehn Mitarbeiter. Ihr Sohn war ebenfalls ins Unternehmen eingestiegen und stand seiner Mutter zur Seite. Ihm fiel auf, dass ihr hin und wieder „Flüchtigkeitsfehler“ unterliefen, sie vergaß, Gehälter anzuweisen oder tat das in anderen Monaten gleich zwei Mal innerhalb kurzer Zeit. Dann lies sie die Tageseinnahmen beim Einsteigen ins Auto auf dem Dach liegen und konnte sich anschließend nicht erinnern, ab welchem Zeitpunkt das Geld nicht mehr da gewesen war. Sie war noch nie gut darin, sich an Namen und Gesichter zu erinnern, daher fiel zunächst nicht auf, dass diese Fähigkeit mehr und mehr abnahm. Andererseits war die sportliche, taffe Mutter von zwei Kindern gut darin, die Anzeichen dafür, dass sie zunehmend an Gedächtnisproblemen litt, vor sich und der Welt zu verbergen.

Erst als nicht mehr zu verheimlichen war, dass etwas nicht stimmte, als sie begann, sich mit dem Auto auf dem Weg nach Hause zu verfahren, drängten ihre Kinder auf eine Untersuchung. Dort sprach der Arzt aus, was alle befürchteten. Margitt P. leidet an Alzheimer. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung schon fortgeschritten und weitere Symptome machten sich bemerkbar.

„Alzheimer“ ist eine sogenannte „neurodegenerative“ Erkrankung, bei der Nervenzellen im Gehirn untergehen. Da diese nicht ständig neu gebildet werden, sind diese Schädigungen irreversibel. Erkrankt ein Mensch an der Alzheimer Krankheit, entwickelt sich eine zunehmende Demenz, wobei ganz klar herauszustellen ist, dass Alzheimer Krankheit. Hier ist wichtig zu unterscheiden, dass Demenz ein Symptom für unterschiedlichste Erkrankungen sein kann, die viele Ursachen haben können. Während die Alzheimer-Demenz zu den sogenannten degenerativen Demenzen gehört, bei denen Nervenzellen verloren gehen, gibt es noch eine große Bandbreite weiterer Ursachen für dementielle Erkrankungen, beginnend mit Epilepsien, Intoxikationen, Stoffwechselerkrankungen und mehr.
     

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Puzzle und andere Spiele werden insbesondere in der Ergotherapie genutzt. Foto: Robert Kneschke - stock.adobe.com

Die bekannteste weitere dementielle Erkrankung – neben der Alzheimer Krankheit – ist die vaskuläre Demenz, bei der als Folge einer Reihe kleiner Schlaganfälle, Thrombosen oder Embolien und Durchblutungsstörungen im Gehirn als Folge die Nervenschäden auftreten. Beiden Formen der Demenz gleich ist der schrittweise Abbau oder Verlust von kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten, dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, des Denkvermögens, zuweilen auch der Sprache und der Motorik.

Während die vaskuläre Demenz in der Regel im Alter auftritt, kann Alzheimer schon deutlich früher auftreten. Das Gros der Betroffenen hat die Lebensmitte bereits überschritten, der jüngste Alzheimer-Patient erkrankte jedoch bereits im Alter von 27 Jahren und starb wenige Jahre darauf. Da die Diagnostik große Fortschritte gemacht hat und man mittlerweile gut zwischen einer vaskulären und einer Alzheimer Demenz unterscheiden kann, ist das wahre Ausmaß der Anzahl von Betroffenen sichtbar geworden. Jedes Jahr erkranken neuesten Studien zu Folge etwa 300 000 Menschen in Deutschland. Insgesamt leiden aktuell etwa 3 Millionen Menschen an Alzheimer. Die typischen Eiweißanlagerungen im Gehirn sind ein untrügliches Zeichen einer Erkrankung.

Für die Patienten beginnt dann ein Abschnitt im Leben, in dem sie sehr genau spüren, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist.

Mehr und häufiger benötigen sie Hilfe bei Dingen, die sie noch vor Jahren vollkommen selbst organisieren konnten. Die zunächst nur leichten Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen führen zu peinlichen Situationen, die von den Betroffenen häufig als bedrohlich empfunden werden. In diesem Stadium besteht für alle die größte Herausforderung darin, die Grenze der eigenen Selbstständigkeit zu erkennen und die Erkrankten bestmöglich in alle Entscheidungen mit einzubinden.
     

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Gemeinsam verbrachte Zeit mit Spielen und Reden regt den Geist an und ist wichtig. Foto: Africa Studio - stock.adobe.com

Im weiteren Verlauf werden die Einschränkungen von Gedächtnis, Orientierungsfähigkeit und Selbstständigkeit immer größer. Jetzt benötigen die Patienten mehr Hilfe im Alltag, können zuweilen schon jetzt keine vollständigen Sätze mehr bilden und verlieren Kenntnisse über ihre Vergangenheit, den Namen der Kinder oder das eigene Alter.

Im Endstadium können die Erkrankten ohne Fremde Hilfe nicht mehr leben. Die Kontrolle über Blase und Darm geht verloren, die Fähigkeit, sich kontrolliert zu bewegen ebenso, sodass viele Patienten zu diesem Zeitpunkt dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Jetzt können Schluckstörungen, Versteifungen der Gliedmaßen und Krampfanfälle auftreten. Die Infektanfälligkeit steigt. Alzheimer führt nicht zum Tod, die Patienten versterben an Infektionen, die aufgrund des geistigen und körperlichen Abbaus auftreten.

Für Angehörige von Menschen, die an Alzheimer erkranken, ist es schwer mitzuerleben, wie der „Geist“ des geliebten Menschen mehr und mehr verschwindet. Die Unabwendbarkeit des Endes ist schwer zu akzeptieren und die Tatsache, dass es bestenfalls Medikamente gibt, mit denen man den Verlauf verlangsamen kann, ist wenig tröstlich. Ziel jeglicher Behandlung ist es, die Selbstständigkeit eines jeden Erkrankten so lange wie möglich zu erhalten. Hierzu werden neben Physiotherapie auch Ergotherapie, Logopädie, Sportangebote und Musik-, oder Kunsttherapie angeboten. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse verbessert den Allgemeinzustand und schützt vor zusätzlichen Infekten. Gerade Angehörige von Alzheimerkranken brauchen Hilfe, um mit der für sie belastenden Situation zurechtzukommen. Entlastungsangebote, Hilfestellung durch Gespräche und Angehörigentreffs können den Druck im Alltag mildern.

Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft hat auf ihrer Website viele nützliche Informationen zusammengetragen, die in dieser schwierigen Zeit hilfreich sind. Für die Betroffenen ist nur eines wichtig: Eine Umgebung, die ihnen in der Zeit wachsender Unsicherheit und Angst das Gefühl vermittelt, gut aufgehoben zu sein. Geregelte Abläufe, sensorische Anregung und selbstständiges, aber gefahrfreies Leben, solange es machbar ist. Wer betroffen ist, sollte früh mit Familie und Freunden sprechen, damit sich alle mit der Erkrankung auseinandersetzen und Hilfsangebote machen können. J.S.

Bei Fragen bietet das Alzheimer-Telefon unter 030-259 37 95 14 Antworten und Unterstützung.