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Nasentropfenabhängigkeit

Nasentropfenabhängigkeit

Die verkannte Sucht

27.03.21
Nasentropfenabhängigkeit

Foto: Kabardins photo - stock.adobe.com

Im ersten Moment klingt der Titel Nasentropfenabhängigkeit etwas abstrus, aber bei genauem Überlegen fällt fast jedem von uns ein Mensch ein, der dauerhaft Nasentropfen nutzt. Was zunächst wie eine allenfalls merkwürdige Angewohnheit klingt, ist tatsächlich eine Sucht, die gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann. Mehr als 100 000 Menschen in Deutschland leiden unter eine Abhängigkeit von Nasentropfen. Angefangen hat es bei allen ähnlich. Schnupfen, Nasen-Operationen, in deren Zusammenhang für eine kurze Zeit Nasentropfen verschrieben wurden und der verpasste „Absprung“. Die Wirkstoffe Xylometazolin, Oxymetazolin und Phenylephrin sind einerseits für die abschwellende Wirkung der Tropfen verantwortlich, führen aber sehr schnell dazu, dass schon bald ein Gewöhnungseffekt eintritt. Der Schnupfen geht, die Nase bleibt scheinbar zu. Der Griff zum Nasenspray ist einfach, die Beschaffung ebenso. Beim Kauf erklärt jeder Apotheker zwar, dass man die Tropfen nicht länger als eine Woche nutzen sollte, für Abhängige kommt diese Warnung aber zu spät.

Nasentropfenabhängige zeigen alle Anzeigen eines süchtigen Menschen. Sie tragen immer ihr Suchtmittel bei sich, legen Vorräte an und wechseln die Bezugsquellen, falls eine Apothekenmitarbeiter*in beginnt, Fragen zu stellen. Online-Apotheken befriedigen ohne Nachfrage die Sucht und sind zu beliebten Dealern geworden.

Eine übertriebene Darstellung? Mitnichten.

Abhängigkeit von Nasentropfen verändert das Leben. Wie bei anderen Süchten auch wird das Leben um die Sucht herum organisiert, die Nutzungszeiträume werden in den Tages- und Nachtablauf eingeplant. Welche Folgen kann eine Abhängigkeit haben?

Die Nasenschleimhaut hat eine wichtige Aufgabe im Zusammenhang mit der Immunabwehr. Die Flimmerhärchen wirken wie ein Netz, in dem sich Krankheitserreger verfangen und so erst gar nicht weiter in den Körper eindringen. Hat man sich mit einer Atemwegserkrankung infiziert, schwellen die Nasenschleimhäute an produzieren vermehrt Sekret. Sie tun das, um die Erreger wieder loszuwerden, allerdings erschweren sie dabei die Atmung zum Teil erheblich. An dieser Stelle ist der Einsatz von abschwellenden Nasensprays vor allem nachts durchaus angebracht. Bei ständigem Gebrauch schleimhautabschwellender Substanzen verlieren die Flimmerhärchen allerdings ihre Beweglichkeit und damit die Fähigkeit, aktiv an der Immunabwehr teilzunehmen. Die Durchblutung verschlechtert sich, es bildet sich dauerhaft ein schleimiger Belag und der Rebounce-Effekt führt dazu, dass die Schwellung, die man mittels Xylometazolin im Griff halten wollte, in immer kürzeren Zeiträumen wieder auftritt.

Die anhaltend schlechte Durchblutung führt dauerhaft dazu, dass Zellen absterben, als Resultat entwickelt sich eine sogenannte „Stinknase“, übelriechender Belag, der die ohnehin verminderte Riech- und Schmeckfähigkeit noch mehr verschlechtert.

Gleichgültig gegenüber seiner Sucht ist keiner der Betroffenen, der Weg heraus aus der Sucht ist aber schwierig und – wie bei vielen Süchten – nicht gerade angenehm. Mit einer Dosisreduzierung bei Umstellung auf Kinder- bzw. Säuglingspräparate und der Verwendung von Meersalzpräparaten kann man den schrittweisen Ausstieg versuchen. Unter ärztlicher Kontrolle kommen zuweilen cortisonhaltige Nasensprays zum Einsatz. Der Entzug ist in einigen Wochen zu schaffen, gefährdet für eine wiederkehrende Sucht ist man für immer. J.S.