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Beruf Bestatter

Beruf Bestatter

28.10.22
Beruf Bestatter

Foto: Kzenon - stock.adobe.com

Es war der Anblick der alten Dame, der ihn überzeugte. Christian Ketz hatte gerade seine Lehre beendet, er war jetzt IT-Systemkaufmann in Rostock. Da sprach ihn ein netter Kollege an: ob er ihm bei einem Nebenjob helfen könne. Er sagte zu. Es war ein Sommertag, Ketz radelte in Hemd und kurzer Hose in die Innenstadt.

Unterwegs überlegte er sich, dass er bis in den Herbst hinein jobben könnte, so lange, bis er seinen Dienst bei der Bundeswehr antreten würde. Freiwillig hatte er sich bei den Fallschirmjägern verpflichtet, auf acht Jahre. Er war gespannt. Dann dachte er an die Aufgabe, die jetzt vor ihm lag, und ihm zog sich der Magen zusammen.

,,Ich habe diesen Beruf nicht gewählt, er wählte mich."
Christian Ketz

Im Hansaviertel betrat Ketz das Büro des Unternehmens, für das sein Kollege Thomas nebenbei tätig war, gegründet 1931. Ketz probierte die Zweitgarnitur seines Kollegen an: Anzug, schwarze Schuhe. Die Sachen passten. Also fuhren sie hinüber nach Brinckmansdorf, einen Stadtteil im Südosten von Rostock. Unterwegs im Auto sagte der Kollege: ,,Halt dich an mich, mach mir einfach die Dinge nach." Vor Ort angekommen, bat sie ein Mann ins Wohnzimmer. Sie setzten sich, besprachen letzte Dinge, ließen Papiere unterschreiben. Ketz wäre am liebsten davongerannt.

Berührende Begegnung

Stattdessen folgte er Thomas ins Schlafzimmer. Und als er die alte Dame dort liegen sah, ergriff ihn, was die Tote ausstrahlte: ,,Dieses ruhige Gesicht. Diese Würde. Dieser Frieden. Meine Nervosität war wie weggewischt.“ Sein Kollege verneigte sich leicht, Ketz tat es ihm nach. Er ahmte auch dessen sichere Bewegungen nach, als sie behutsam ein Laken unter die Verstorbene zogen, sie auf eine Trage umlagerten und ins Auto trugen, sich nochmals verneigten, die Heckklappe schlossen. Bei den Fallschirmjägem blieb Christian Ketz nicht lang. ,,Elf Tage, um genau zu sein", sagt er. Die Testosteron-Welt dort war nicht seine. ,,Ich bin eher der ruhige Typ." Er kehrte nach Rostock zurück, stand in einem Handyshop hinterm Tresen und verkaufte Verträge. Doch als Sales Manager verdiente er nur 1000 Euro brutto. Sein Ex-Kollege rief ihn nun häufiger an - nach Feierabend arbeitete er manchmal als Bestattungsgehilfe. So ging das gut anderthalb Jahre. Er mochte diese andere Arbeit. Ketz, 35, ist ein zurückhaltender, freundlicher Mann mit Kinnbart und Glatze. Er trägt eine dezente Brille zu einem schlichten grauen Anzug und sagt sofort: ,,So laufe ich aber nicht jeden Tag hier rum." An der hellen Wand hinter ihm steht schwarz geschwungen: Asgard Bestattungshaus Rostock. Hier, im Villenviertel Gehlsdorf, liegt die dritte und neueste Filiale des Betriebs, einer Tochter der Grieneisen Bestattungen GmbH.

2008, gut ein Jahr nach der Begegnung mit der alten Dame, wurde Ketz unzufrieden: Sein Nebenjob machte ihm Freude - aber wollte er sein Leben lang Handyverträge verkaufen? Seine Eltern waren mittlerweile nach Frankfurt am Main umgezogen, sein Bruder ebenso. Ketz war drauf und dran, ihnen zu folgen: Seine Firma unterhielt dort einen wichtigen Standort, das wäre ein Karriereschritt. Er besaß bereits den neuen Arbeitsvertrag, da meldete sich Thomas: ob Christian im neuen Büro des Bestatters helfen könne, einen Teppich auszurollen. Und als ich dann da war, hat mir Thomas' Chef eine Festanstellung angeboten." Ketz wog ab und blieb. Das feste Geld. Sein Freundeskreis. Und eine Arbeit, die ihn tiefer befriedigte als alles, was er die Jahre zuvor gemacht hatte. Er lernte den Umgang mit Trauemnden kennen, die Beratung, das Miteinander in der Branche. Und er mochte die Ruhe, die Würde, das Wertschätzende.

Auslöser: Sinnfrage

Für Ketz war es ein weiter Weg. Noch eben in der DDR geboren, 1987, war er nie religiös oder in der Kirche. Die großen Fragen, die um Leben und Tod kreisen, haben ihn früher nicht beschäftigt. Inzwischen denkt er schon mal darüber nach, ,,ob es nicht doch etwas gibt zwischen Himmel und Erde, was wir nicht beweisen oder erfassen können".

Sein Kollege aus der IT, der ihn damals um den Gefallen bat, war Thomas Brandt. Heute, anderthalb Jahrzehnte später, ist Brandt wieder sein Kollege diesmal bei der Seebestattungsreederei Hohe Düne. Wenn das MS Undine, das Schiff der Firma, zur Bestattung auf die Ostsee hinaustuckert, steht Brandt am Steuerrad. Längst verbindet die beiden Männer auch eine Freundschaft. ,,Ich habe diesen Beruf nie bewusst gewählt", sagt Ketz. „Aber er mich. Jetzt kann ich Menschen helfen, ihre Würde zu bewahren. Das klingt pathetisch, trifft aber den Kem.“ Seit vergangenem Jahr ist Ketz Betriebsleiter für die drei Standorte in Rostock. Quelle: Sterbereport 2022